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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Dieser Tage denke ich viel über Rituale und Symbole nach. Erstens aus privaten Gründen; zweitens, weil ich in der ausgezeichneten „The Rest Is History“-Podcastserie über die französische Revolution von Symbolen der französischen Republikwerdung – die Marseillaise, die langen Hosen, die Jakobinermützen – gehört habe; und drittens, weil wir in einer intensiven Woche politischer Rituale sind:
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Den Regierungsauftrag des Bundespräsidenten haben wir (gerade) hinter uns – ich hätte es ja wie beschrieben bevorzugt, er hätte Herbert Kickl formal den Auftrag erteilt, aber die verordneten Gesprächsrunden waren eine durchaus passable Art, Transparenz und Klarheit herzustellen, wer mit wem nicht will.
Am Donnerstag steht die Konstituierung des neuen Nationalrats an und am Samstag ist Nationalfeiertag, der „im ganzen Bundesgebiet festlich begangen wird“, wie es im Artikel 2 des einschlägigen Gesetzes heißt. Der Jahrestag des Beschlusses des Neutralitätsgesetzes geht mit einer ganzen Reihe öffentlicher Events einher, besonders am und um den Heldenplatz: Bundespräsident und Bundesregierung legen Kränze nieder, diverse Institutionen laden zum Tag der offenen Tür.
Und dann ist da noch die Sache mit der Fahne. Eine paar Internetaktivisten haben FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisiert, er trage eigentlich die Fahne von Peru. Und zwar, weil der rot-weiß-rote Anstecker, mit dem er sich häufig zeigt, nicht waagrecht angeordnet ist, wie es die Bundesverfassung für die „Farben der Republik Österreich“ vorsieht, sondern senkrecht.
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Sogar mir scheint das ein bisschen zu pedantisch: Ich liebe unsere Verfassung, aber es gibt eben einen Unterschied zwischen der offiziellen Flagge der Republik und patriotischen Fanartikeln wie jenem des FPÖ-Chefs – da muss man nicht den allerschärfsten Maßstab anlegen, es gibt weit wichtigere Kritikpunkte. (Falls Sie derlei interessiert: Mehr amtlichen fun with flags gibt es in dieser Anfrage des Abg. Noll von 2019, in der er vom damaligen Innenminister Peschorn als oberstem Wappenhüter der Republik wissen wollte, was er davon hält, dass „das Staatswappen jedoch von Bundesministerien, nachgeordneten Dienststellen, Gerichten und der Volksanwaltschaft in verschiedensten Varianten abgewandelt, zum Teil fragwürdig vereinfacht und als offizielles Staatssymbol verwendet“ wird. Auch dessen Antwort war, sinngemäß: „Nicht alles, wo rot-weiß-rot und/oder ein Adler drauf ist, ist gleich ein Staatswappen.“)
Mit Zuversicht in die Vergangenheit
Wenn man so ein bisschen über staatliche Symbolik nachdenkt, muss einem zwangsläufig das Bonmot in den Sinn kommen, der Österreicher blicke voll Zuversicht in die Vergangenheit: Unser Bundespräsident amtiert in der alten Burg des Kaisers (und seinem steirischen Jagdschloss), der Kanzler in der früheren Kanzlei des Heiligen Römischen Reichs. Der prächtigste Saal im Parlament ist auch nach dem Umbau der Reichsratssitzungssaal, unsere Staatsfarben (mit all ihren Ableitungen) stammen noch von den Babenbergern. Einzig unser Nationalfeiertag und meinetwegen der Staatsfeiertag am 1. Mai haben ihre Wurzeln in der Moderne, die übrigen elf im Arbeitsruhegesetz vorgesehenen Feiertage entstammen allesamt dem christlichen Festkalender – Schatten einer kirchlichen Durchdrungenheit der Gesellschaft, die es so (leider) nicht mehr gibt.
Jetzt weiß ich schon, es gibt beileibe wichtigere Fragen als jene, woher unsere Amtsgebäude kommen, wann die Republik uns warum arbeitsfrei gibt und welche anderen Symbole unser Staat vor sich herträgt. Aber ich glaube – Sie wissen das, ich habe gerade ein Buch darüber geschrieben – an diesem besonderen Punkt in der österreichischen Geschichte, an dem wir uns nach Jahrzehnten großkoalitionär berechenbarer Politik zu einer dynamischeren, multipolaren Republik verwandeln, wäre ein guter Zeitpunkt, darüber zu sprechen, ob nicht auch unser Bild vom Staat eine Frischzellenkur bräuchte. Ob wir der depressiven Stimmung in Wirtschaft und Bevölkerung – Rezession, demografische Krise, Bedeutungsverlust Europas usw. – nicht (neben solider, nachhaltiger Politik) positive, zukunftsgewandte Impulse entgegensetzen müssten. Jeder Staat braucht seine Symbole und Rituale – und ich würde alle Parteien davor warnen, solche Fragen des Nationalstolzes aus falscher Angst vor gesundem Patriotismus den Freiheitlichen zu überlassen.
Was man konkret tun kann, ist eine andere Frage – mein persönlicher Favorit wäre ein moderner, baulicher Impuls am Heldenplatz, wo bis vor Kurzem die Parlamentscontainer standen und dieser hässliche Parkstreifen in die Landschaft ragt: Man könnte dem verschämten (Stiegen-) „Haus der Geschichte“ ein „Haus der Zukunft“ gegenüberstellen, als Expositur der Universitäten oder als Ausstellungsfläche der österreichischen Champions in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, zum Beispiel.
Schon klar, das wäre ein seltsames Signal in Zeiten, in denen der Staat sparen muss. Aber dem dauerhaften Blick in die Vergangenheit aus einer trüben Gegenwart sollte auch die Republik etwas entgegenhalten. Selbst, wenn es nur ein Symbol ist.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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