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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Das politische Deutschland diskutiert nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen gerade recht intensiv darüber, wie es mit einer AfD mit 30+ Prozent der Stimmen und – im Fall Thüringens – am ersten Platz in der Wählergunst umgehen soll. Und auch, wenn wir Österreicher in Fällen wie diesen gern unsere deutschen Freunde ein wenig belächeln, weil wir ihnen da Jahrzehnte voraus sind – Haider, schau owa –, muss man sagen: Nach derzeitigem Stand der Umfragen werden wir in einem Monat dasselbe Thema haben – aber im Bund.
Wir sollten diese Zäsur nicht kleinreden: Nicht nur, dass zum ersten Mal bei einer Nationalratswahl die FPÖ an erster Stelle landen dürfte, sondern auch, dass ÖVP und SPÖ, die Parteien der ehemals „Großen Koalition“, wohl zum ersten Mal zusammen keine Mandatsmehrheit mehr haben werden.
Zurück in die Zukunft
Das ist ein völlig neues politisches Setting für Österreich, uncharted territory: die politisch vertraute „Zweite Republik“, die über sieben Jahrzehnte vom Zusammen- und Widerspiel von Rot und Schwarz geprägt war, ist auf Bundesebene damit zu Ende. Wie es dazu gekommen ist, mit den vielen großen und kleinen Krisen der vergangenen zehn Jahre, habe ich übrigens in meinem soeben erschienen Buch „Die letzten Jahre der Zweiten Republik“ zu beschreiben versucht. Aber nachdem vergangene Woche schon recht oft die Rede davon war, wie Alexander Van der Bellen mit einem Wahlsieger Herbert Kickl umgehen soll: Überlegen wir uns doch kurz einmal, wie es nach der Wahl weitergehen soll.
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Der Bundespräsident ist – so steht es geschrieben in Artikel 70 Bundes-Verfassungsgesetz – grundsätzlich völlig frei darin, wen er zum Bundeskanzler macht. Das ist eine der wenigen Bestimmungen, in denen man noch ein Echo der Monarchie erkennen mag, als der Kaiser seine Regierung ernannt hat, die dann dem Parlament gegenüberstand. Das war eine bewusste Entscheidung in der Verfassungsreform von 1929, die unseren Staat im Wesentlichen so aufgestellt hat, wie er heute ist – der Präsident kann jeden Staatsbürger zum Kanzler machen, egal, ob der Mehrheiten hinter sich hat oder nicht. (Verfassungsrechts-Doyen Heinz Mayer hat in seiner Jus-Einführungsvorlesung einst das launige Beispiel gebracht, der Präsident könnte auch Hans Krankl oder andere Fußballer ins Bundeskanzleramt befördern – vielleicht als Anregung.)
Die Grenzen der Tradition
Jetzt hat es sich aber seit Jahrzehnten als demokratische Tradition, als „Usance“ eingelebt – auch, aber nicht nur, weil Van der Bellens Vorgänger ausschließlich aus den großkoalitionären Parteien gekommen sind –, dass der Bundespräsident nach der Nationalratswahl immer den Chef der stärksten Partei mit der Bildung einer neuen Bundesregierung beauftragt. Und das waren bisher eben ausschließlich SPÖler und ÖVPler, die sich dann bemühten, eine Regierung mit Mehrheit im Parlament aufzustellen.
Erst dann, wenn der Beauftragte eine solche Koalition vorweisen konnte, hat ihn der Präsident zum Kanzler ernannt. Und es ist auch schon vorgekommen, dass solche Erkundungen gescheitert sind. SPÖ-Chef Viktor Klima scheiterte nach der Nationalratswahl 1999 in seinen Verhandlungen mit Wolfgang Schüssels ÖVP, am Ende wurde Letzterer Kanzler einer blau-schwarzen Koalition. All das ist allerdings bloß Tradition – wie gesagt: Der Präsident ist frei in seiner Wahl eines Bundeskanzlers, eine Mehrheit im Parlament könnte diesen und seine Regierung dann nur per Misstrauensantrag wieder in die Wüste schicken.
Die Optionen des Präsidenten
Was also soll Van der Bellen jetzt machen, wenn am Abend des 29. September Herbert Kickl als Wahlsieger feststeht? Seit er Anfang vergangenen Jahres in der ORF-Blackbox ohne Grund darüber philosophiert hatte, dass er eben nicht dazu verpflichtet sei, irgendwen anzugeloben, hat er sich jeder Festlegung enthalten. Zu Recht, denn damit würde er zum tagespolitischen Mitspieler, was der Autorität seines Amtes nicht dienlich wäre.
Im Wesentlichen hat der Präsident drei Möglichkeiten: Er kann Kickl beauftragen, er kann einem anderen Parteichef den Auftrag zur Regierungsbildung geben – oder er könnte es noch einmal mit einer „Expertenregierung“ versuchen, wie 2019, als er Brigitte Bierlein zur Kanzlerin machte, ohne dass sie jemals auf einem Wahlzettel gestanden wäre.
Die beiden Varianten gegen Kickl hätten entscheidende Schwächen, auch wenn sie im Sinn der Verfassung legal sind und Van der Bellen – anders als die FPÖ – auf eine absolute Mehrheit der Bevölkerung verweisen könnte, die ihn gewählt hat: Erstens wäre es eine Abweichung von jahrzehntelanger Tradition, um die von einer relativen Mehrheit der Österreicher gewünschte Partei von der Regierungsmacht fernzuhalten.
Zweitens könnte es zu einer Verfassungskrise führen, sollte die FPÖ in der Folge mit einer anderen Partei doch eine Mehrheit im Nationalrat aufstellen können – sie könnten die von Van der Bellen ernannte Regierung abwählen. Eine beispiellose Machtprobe zwischen Bundespräsident und Parlament und damit eine Lähmung des politischen Prozesses wäre die Folge.
Und drittens würde es das höchste Amt im Staat drastisch in die politische Auseinandersetzung ziehen – ein Staatsoberhaupt, das seinen rechtlichen Spielraum gegen die Mehrheit der Wähler in Stellung bringt, das kann auf Dauer nicht gut ausgehen für ein Amt, dessen Status und Autorität besonders in Krisenzeiten essenziell sind, wie die vergangenen Jahre zeigen.
Nein, Van der Bellen sollte solche Experimente unterlassen und den Wahlsieger beauftragen, eine Regierung zu bilden – selbst wenn der Kickl heißt. Sollen er und die Freiheitlichen versuchen, eine Mehrheit zustande zu bringen; die Chancen dafür stehen durch das Verhalten des FPÖ-Chefs den anderen Parteien gegenüber („Inzucht-Partie“, „Systemparteien“ usw.) und angesichts deren Absagen zu einer Zusammenarbeit mit Kickl schlecht. Besser für alle Beteiligten, wenn die FPÖ versuchen muss, common ground mit anderen Parteien zu finden. Und wenn das nicht gelingt, kann sich der unbeschädigte Präsident noch immer Alternativen überlegen.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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