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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Ich habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich Sie hier noch einmal mit den Nachbeben der Renaturierungsverordnung belästige. Aber leider ist es wichtig.
Zur Erinnerung: Anfang vergangener Woche hatte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf juristisch zweifelhafter Basis im EU-Umweltministerrat gegen den Willen der ÖVP und der meisten Bundesländer der Renaturierungsverordnung zugestimmt und sie damit über die Ziellinie gebracht.
Während ich die Verordnung, die die Mitgliedsstaaten verpflichtet, in den nächsten Jahren Pläne zur ökologischen Verbesserung von Wäldern, Flüssen, Mooren usw. vorzulegen und umzusetzen, begrüßt habe, halte ich denkbar wenig von solchen Alleingängen – ich habe hier vor den politischen Flurschäden solcher Aktionen gewarnt.
Staatspolitische Verantwortung?
Nun: jetzt sind diese Schäden da. Das ist zwar nicht überraschend, aber anfangs hatte es noch so ausgeschaut, als ob es zumindest kurzfristig glimpflich ausgehen könnte. Kurz nach Gewesslers Ja hatte sich ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hingestellt und erklärt, die Aktion sei zwar verdammungswürdig (ich paraphrasiere nur minimal), aber aus staatspolitischer Verantwortung werde man die Koalition nun trotzdem die verbleibenden paar Monate lang fortsetzen – mit Gewessler im Amt.
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Ich fand das zu dem Zeitpunkt eine sehr erwachsene, professionelle Haltung. Es wäre noch einiges zu tun bis zur Nationalratswahl, Wiederholungsgefahr in Brüssel besteht mangels ähnlich strittiger/knapper Gesetzesvorhaben vorerst nicht, und, auch da hat Nehammer Recht: Ein teures „freies Spiel der Kräfte“ im Nationalrat (an dem sich auch die ÖVP in den letzten Perioden rege beteiligt hat) kann sich die Republik einfach nicht leisten.
Nur: so kam es dann nicht. Dass der Ministerrat vergangene Woche statt in Person nur als Umlaufbeschluss stattgefunden hat, geschenkt; derlei kommt in der Sommerzeit immer wieder vor. Aber am Freitag hätten sich in Vorarlberg die Energie-Landesräte treffen sollen, Gewessler wäre dabei gewesen. Die fünf ÖVP-Landesräte – aus Niederösterreich, Kärnten (das als Land zuletzt eigentlich für die Verordnung war), Salzburg, Tirol und Oberösterreich – sagten kurzfristig ab, Gewessler sei nicht vertrauenswürdig.
Koalition ohne Konsens
Jetzt kann man für diese Position der Länder ein gewisses Verständnis haben oder nicht – wenn Sie das hier lesen, werden auch Sie schon eine Meinung dazu haben, ob Gewessler richtig oder falsch gehandelt hat –, aber mit Verlaub: so hat Türkis-Grün tatsächlich keinen Sinn mehr.
Da geht es gar nicht nur darum, dass Bund und Länder gerade in Gewesslers Kompetenzbereichen – Umwelt, Verkehr, Energie – bei der Gesetzgebung oft zusammenarbeiten müssen, sondern um die wirklichen Basics der Regierungsarbeit, die Verwaltung und Ausübung bestehender Regeln. In der mittelbaren Bundesverwaltung geben die Bundesminister den Landeshauptleuten Weisungen, die sie dann (auch unter Zuhilfenahme „ihrer“ Landesräte) ausführen müssen – wir haben das während der Corona-Maßnahmen immer wieder durchexerziert, wie das in einer Krise funktioniert.
Auch Gewessler hat Zuständigkeiten, in denen diese Hierarchie schlagend werden könnte. Im Fall einer – auch in den Monaten, bis wir eine neue Regierung haben, nicht undenkbaren – Energiekrise zum Beispiel könnte sie Lenkungsmaßnahmen beschließen, die die Länder dann umsetzen müssen. In so einem Fall mangels Bereitschaft zur Zusammenarbeit und koalitionärer Entfremdung allein dazustehen, wäre ein katastrophaler Zustand für die Republik.
Genug gestritten
Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten – und die ÖVP muss sich entscheiden: Entweder sie sagt, Gewessler sei wegen ihrer Entscheidung nicht mehr paktfähig, nicht mehr verlässlich. Dann sollte der Kanzler die Grünen um einen Ersatz bitten, dem Bundespräsidenten ihre Entlassung vorschlagen oder die Koalition aufkündigen.
Oder aber die Volkspartei beißt trotz des Alleingangs wie angekündigt die Zähne zusammen und arbeitet weiter mit der Ministerin und den Grünen zusammen. Dann sollte sie das aber professionell und erwachsen tun und ohne die Arbeit und Gespräche zu verweigern.
So oder so: Das Funktionieren der Republik sollte nicht unter kindischem Gezänk leiden. Dafür ist es zu wichtig.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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