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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Österreich hat weiterhin eine Regierung. Ob das eine gute Nachricht ist, müssen Sie selbst entscheiden, aber allein, dass es eine Nachricht ist, ist für jemanden wie mich, der langweilige Politik, berechenbare Abläufe und starke Institutionen schätzt, eine schlechte.
Klimaministerin Leonore Gewessler hat sich entschieden, der EU-Renaturierungsverordnung im Rat der Union zuzustimmen, wodurch diese dort hauchdünn die nötige Mehrheit bekommen hat – entgegen dem Willen der ÖVP und einer Erklärung der Bundesländer, aus der das Land Wien zuletzt ausgeschert ist. Ob Wien damit das Veto der Länder außer Kraft gesetzt hat, ist rechtlich unklar. Die ÖVP ist darüber extrem erbost, hat Gewessler angezeigt und will den EU-Rechtsweg gegen die Verordnung beschreiten, will die Koalition aber „aus Verantwortung“ fortsetzen.
Ich bin in dieser Sache in einer zwiespältigen Position: Wie ich hier im Leitfaden und anderswo mehrfach geschrieben habe, finde ich die Verordnung als Antwort auf die Biodiversitätskrise sehr sinnvoll. Ich finde es grundsätzlich gut, dass sie jetzt in ganz Europa in Kraft treten und dort die kommenden Jahrzehnte für Besserung sorgen wird.
Der Zweck heiligt nicht alle Mittel
Aber: der Weg, den Gewessler dahin genommen hat, ist jenseitig und schrammt hart an der Willkür entlang. Bei der Nicht-Abstimmung mit der ÖVP können sich die Grünen noch darauf berufen, dass die Koalition es schon bisher so gehandhabt hat, dass Fachminister in „ihrem“ Rat grundsätzlich frei entscheiden können – Innenminister Gerhard Karner hat beispielsweise auch nicht lange nach grüner Zustimmung gesucht, als er im Alleingang den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens blockiert hat. Das ist zwar keine besonders vernünftige Art, weitreichende, die ganze Nation bindende Entscheidungen zu treffen; aber das hätte man in der Koalition eben von Anfang an anders vereinbaren müssen, wenn man das nicht will.
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Anders ist die Lage bezüglich der einheitlichen Stellungnahme der Länder: Hier ist rechtlich unklar, ob Gewessler nach innerstaatlichen Regeln zustimmen darf oder nicht. Und gerade bei einer Regelung, die die Länder in den kommenden Jahrzehnten rechtlich binden soll, sollte der Weg dazu rechtlich eindeutig sein. Gewesslers „im Zweifel für die Natur“ ist nichts anderes als ein bewusstes Sich-Durchschummeln zulasten der Länder. Ein pseudo-heroisches Durchdrücken im Wissen, dass es die letzte Gelegenheit ist, eine solche Entscheidung zu treffen, weil man realistischerweise bald nicht mehr in der Position dazu sein wird.
Es ist das zweite Mal, dass Gewessler diesen Weg des Durchschummelns wählt. Das erste Mal war, dass sie mit der ihr nachgeordneten Asfinag vereinbart hat, den Lobautunnel vorerst nicht zu bauen, obwohl er im Bundesstraßengesetz als „To Do“ verankert ist. Im Gegensatz zur Renaturierungsverordnung ist das nicht nachhaltig; sobald sie nicht mehr im Amt ist, könnte auch die Autobahn-Gesellschaft das Projekt wieder in ihr Programm aufnehmen. Trotzdem hat es genau wie der aktuelle Fall gezeigt, dass die Ministerin im Sinne der Sache bereit ist, Grauzonen auszunutzen, um unilateral am erklärten Willen anderer staatlicher Institutionen vorbei zu handeln.
Mehrheiten finden statt Alleingänge starten
Das ist „Zweck heiligt die Mittel“-Politik und als solches keine gute Regierungsarbeit. Wenn einem eine erklärte Entscheidung der Länder, eine bestimmte EU-Verordnung abzulehnen, oder des Gesetzgebers, eine bestimmte Autobahn zu bauen, nicht passt, sollte die Reaktion des dafür verantwortlichen Verwaltungsorgans nicht sein, unter Aufbietung beträchtlicher Ressourcen für Rechtsgutachter nach Winkelzügen zu suchen, irgendwie an diesen Entscheidungen vorbeiarbeiten zu können.
Der richtige Weg wäre, zu verhandeln – im Fall des Tunnels um eine Mehrheit im Nationalrat, um das Bundesstraßengesetz zu ändern, im Fall der EU-Verordnung um einen Beschluss der Landeshauptleute-Konferenz, ihre ursprüngliche Stellungnahme in derselben Konstellation wieder aufzuheben, um rechtlich auf der sicheren Seite zu stehen.
Solche Verhandlungen sind anstrengend, eventuell muss man dafür andere Inhalte „abtauschen“, die einem wichtig wären, eventuell scheitert man auch; aber es ist der bewährte Weg, in einer Demokratie Entscheidungen zu treffen: Man findet Mehrheiten, statt sich für seinen „Mut“ zum Alleingang abzufeiern; schafft Konsens und demokratische Verlässlichkeit statt scheinbar heldenhafter Einzelakte.
Es ist erfreulich, dass die Verordnung nun in Kraft treten wird – die ÖVP-Rechtsmittel kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit als aussichtslosen Politaktivismus abschreiben. Aber der politische Flurschaden, den die Grünen dafür in Kauf nehmen, der Präzedenzfall, den Gewessler damit geschaffen hat, wird uns in den kommenden Monaten und Jahren noch oft heimsuchen.
Die nächste Koalition wird jedenfalls gut beraten sein, gegen solche Einzelgänge Vorsorge zu treffen: Indem sie klar die Bedingungen für Zustimmung der Minister in der EU regelt, zum Beispiel. Minister sind letztlich nichts anderes als Verwaltungsorgane; ihnen zu viel Raum zum Durchschummeln zu lassen, ist der Weg in die Willkürrepublik.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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