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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Ich mag es nicht, wenn Politik aufregend ist. Und viel aufregender als die vergangenen Tage wird es in Österreich in der Regel nicht, geheime Videos auf Mittelmeerinseln einmal ausgenommen. Am Wochenende wurde der Zwischenstand der Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP an die Medien geleakt, inzwischen ist er – danke an „Computer-Hawi“ Mario Zechner – für die Öffentlichkeit frei zugänglich.
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Über weite Strecken ist es ein erwartbares blau-schwarzes Programm. Manches darin (z. B. die Reformen beim Arbeitslosengeld und bei der Beschleunigung von Betriebsanlagengenehmigungen) ist vernünftig, vieles unvernünftig – geradezu absurd fällt beispielsweise die Antwort auf das in den kommenden Jahren immer weiter klaffende Budgetloch aus: Noch mehr Geld in Steuernachlässe und andere Segnungen zu werfen, kann nicht die Lösung sein.
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Nationale Interessen vor Gerichtsentscheidungen?
Wirklich jenseitig ist der Zwischenstand aber dort, wo die FPÖ ihre Wünsche zur EU- und Menschenrechtsrechtsprechung deponiert hat - Stand des Verhandlungsdokuments hält die ÖVP noch dagegen.
Da finden sich unter anderem folgende Vorschläge:
- Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe (…) sind von unseren Behörden und Gerichten so restriktiv wie möglich auszulegen und zum spätestmöglichen Zeitpunkt umzusetzen.
- Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe werden mit der höchstmöglichen Berücksichtigung österreichischer Interessen bewertet.
- Von der gängigen Praxis, Entscheidungen zu anderen Mitgliedsstaaten bereits in vorauseilendem Gehorsam, ohne entsprechenden österreichischen gerichtlichen Anlassfall umzusetzen, ist Abstand zu nehmen.
So, so: Gerichtsentscheidungen sind also „zu bewerten“, nationale Interessen sollen ihnen vorgehen und generell solle unsere Verwaltung Urteile möglichst restriktiv auslegen.
Auf dem Weg zum Willkürstaat
Das ist, kurz gesagt, der Weg in Richtung Willkürstaat. Was die Freiheitlichen da fordern, wäre eine Machtverschiebung von Bürgerinnen und Bürgern hin zur Bürokratie: Wer sich vor (europäischen) Gerichten sein Recht gegenüber der Verwaltung erstreitet, soll sein Recht nur möglichst restriktiv, so spät wie möglich und überhaupt nur dann bekommen, wenn österreichische Interessen nicht vorgehen.
Mag sein, dass die Verhandler da vor allem die Asylrechtsprechung im Kopf hatten – aber tatsächlich beträfe ein so fundamentales Eingreifen in den Rechtsschutz genauso Unternehmerinnen, die vom Staat einen neuen Standort genehmigt haben wollen, Aktivisten, die ihre Meinung zensiert sehen oder einfache Bürgerinnen, die ihre Daten geschützt haben wollen: Überall dort sollen Entscheidungen so restriktiv und spät wie möglich umgesetzt werden.
Machen wir uns nichts vor: Diese Schwächung der Gerichtsbarkeit wäre ein Anschlag auf unser aller Rechte, ein Schritt hin zum absoluten Staat, in dem der Bürger nur wenig zu melden hat, die Politik dagegen frei entscheiden kann, was jetzt „nationales Interesse“ ist, das gefälligst irgendwelchen Richtern vorzugehen hat.
Die FPÖ muss diese unsinnigen Punkte schnellstens aus dem Katalog ihrer Wünsche streichen – tut sie das nicht, wird jede Partei, für die der liberale Rechtsstaat und die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger noch Bedeutung hat, Verhandlungen mit ihr ausschließen müssen.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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