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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Vergangenes Wochenende hat die Koalition in Gestalt von Bildungsminister Christoph Wiederkehr einen Entwurf des „Kopftuch-Verbotes“ in Begutachtung geschickt. Konkret soll es in einem neuen § 43a Schulunterrichtsgesetz heißen:
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„Um die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Schülerinnen und Schüler im Sinne des Kindeswohls sicherzustellen und insbesondere die Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von Mädchen zu fördern, ist Schülerinnen der Vorschulstufe und der ersten bis einschließlich achten Schulstufe das Tragen eines Kopftuches, welches das Haupt als Ausdruck einer ehrkulturellen Verhaltenspflicht verhüllt, im schulischen Kontext untersagt.“
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Ich will das gar nicht verdodeln; an einzelnen Schulen in Österreich gibt es offenbar Berichte von selbsternannten „Sittenwächtern“, die Druck auf Mädchen machen, gefälligst ein Kopftuch aufzusetzen. Und es wird möglicherweise auch Familien geben, die ihre Kinder dazu zwingen, solche Symbole schon unter 14 Jahren aufzusetzen. In der Schule einen „safe space“ zu schaffen, in dem ein solcher Zwang durch das Verbot ins Leere gehen muss, ist ein berechtigter Ansatz, das kann man schon so machen.
Ich glaube nur nicht, dass dieser Entwurf diese Ziele tatsächlich erreichen wird. Denn an der rechtlichen Einflugschneise, die der Verfassungsgerichtshof 2020 für ein solches Verbot aufgezeigt hat – ich habe im Sommer im DATUM darüber geschrieben –, geht er meines Erachtens weit vorbei. Weder verhindert er, nur eine bestimmte Religion herauszugreifen, noch nimmt er die eigentlich Schuldigen (die „Sittenwächter“) in die Pflicht, noch bemüht sich die Regierung, die Notwendigkeit überhaupt ernsthaft zu argumentieren. In den Materialien zum Entwurf heißt es wörtlich „es gibt eine erhebliche, mangels Erhebungen derzeit aber nicht bezifferbare Zahl“ von minderjährigen Kopftuchträgerinnen. So kommt man nicht am Gleichheitssatz unserer Verfassung vorbei.
So, wie ich das sehe, gäbe es drei Möglichkeiten, das abschließend zu klären:
Erstens, die ein bisserl laizistische Variante: Man verbietet religiöse Bekleidung jeder Art. Ja, da fallen neben dem Kopftuch natürlich auch die jüdische Kippa oder ein Sikh-Turban darunter, und, wenn man es legistisch ernst meint, das sichtbare Kreuzketterl vielleicht auch noch. Das Kreuz an der Klassenwand kann bleiben, solange man nur religiöse Kleidung reglementiert, aber bei der Regelung selbst wird keine Religion benachteiligt oder bevorzugt.
Übrigens: Eine etwas abgeschwächte Version hiervon wäre die Möglichkeit einzuführen, an bestimmten Schulstandorten Schuluniformpflicht anzuordnen. Das würde die Option eröffnen, just dort religiösen Kleidungsdruck auszuschließen, wo es damit Probleme gibt – aber die meisten Schulen außen vor lassen.
Zweitens, Defätismus: Man findet sich damit ab, dass Minderjährige ab und zu Kopftuch tragen. Gerade an Standorten, wo es dazu Druck gibt, müsste man dann aber mit Strafen, Klassen- und Sozialarbeit reagieren, was noch einmal mehr Ressourcen erfordern würde. Das bedeutet natürlich auch Abschied von der Illusion zu nehmen, dass Österreich kein Zuwanderungsland sei und seine Kultur trotz starker Migration weiter 1:1 fortschreiben könne.
Oder drittens: Österreich verabschiedet sich noch ein Stück weiter vom (ohnehin nur bedingt ausgeprägten) staatlichen Säkularismus – und entscheidet sich als Republik, eine Religion, den Islam, gezielt gegenüber anderen zu benachteiligen und das Kopftuchverbot bis 14 in die Verfassung zu schreiben. Die Mehrheit dafür gäbe es im Nationalrat sehr wahrscheinlich, und das würde die Regelung, die dann auf derselben rechtlichen Stufe stünde wie der Gleichheitssatz, gegen den Verfassungsgerichtshof immunisieren.
Das Gesetz, so wie es jetzt ist, versucht sich zwischen diesen drei Polen durchzuwurschteln. Das wird nicht gelingen, wenn der Entwurf so bleibt – entweder der Verfassungsgerichtshof kippt es wieder, weil es mit nur ansatzweisen Begründungen spezifisch eine Religion und ein Geschlecht für sein Verbot herausgreift, oder es bleibt unadministrierbar, weil es kein Verwaltungsverfahren gibt, das den Unterschied zwischen „ehrkulturell“ getragenen Kopftüchern und bloß religiös getragenen herausarbeiten wird können.
Die Koalition sollte nach der Begutachtung noch einmal zurück zum Start gehen – und sich ehrlich nach vorne stellen und sagen, welche der drei genannten Varianten sie haben möchte.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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