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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Gestern, Montag, durfte ich in der Hofburg die Angelobung unserer neuen Bundesregierung Stocker I mitverfolgen. Gut, dass wir endlich eine Koalition haben, es gibt viel zu tun – und es ist besser, jemand fühlt sich für den Berg an Aufgaben verantwortlich, als die Republik vegetiert weiter vor sich hin wie in den vergangenen Monaten.
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Bei aller Begeisterung über die neue Regierung möchte ich Ihre Aufmerksamkeit aber gern auf die kurze Ansprache lenken, die Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu diesem Anlass gehalten hat. Er sagt da unter anderem:
„Wir müssen den Frieden in Österreich strategisch absichern. Wir sind in den letzten Wochen und Tagen Zeugen einer historisch ungesehenen Eskalation geworden. Die weltpolitische Lage ist instabil in einem Maß, das uns alle zum Handeln zwingt. Der Krieg in der Ukraine, geopolitische Spannungen und neue Sicherheitsbedrohungen verlangen eine kluge Friedens- und Verteidigungspolitik. Eine, die die Interessen Österreichs, der Europäischen Union und unseren Frieden schützt.“
Neutralität: Wie soll sich das ausgehen?
Wenn die Regierung den Bundespräsidenten ernst nimmt, müsste sie eigentlich noch vor ihrer Antrittsrede im Parlament einen neuen Schwerpunkt setzen: Eine grundsätzliche Diskussion über die Rolle Österreichs in einer europäischen Verteidigungsarchitektur – und ganz besonders, wie sich die mit unserer Neutralität ausgehen soll.
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Es ist nämlich so: Sich tagelang darüber aufzuregen, wie das Weiße Haus den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj behandelt hat, mag ein gutes Ventil für den allgemeinen Frust über die Weltlage sein – eine konstruktive, zukunftsorientierte Politik ersetzt es nicht. Die USA haben eine isolationistische Politik gewählt und bekommen sie jetzt auch – das werden wir von Österreich aus nicht ändern können.
Was wir ändern können, ist unsere eigene Politik. Und da müssen wir spätestens jetzt darüber reden, wie wir damit umgehen wollen, dass Europa – nicht nur die EU, wohlgemerkt – gerade militärisch aufrüstet und verteidigungspolitisch immer enger zusammenrückt.
Demonstrative Wehrhaftigkeit
Die ersten Schritte in diese Richtung hat die vorige Regierung schon gesetzt: die Teilnahme am Skyshield-Programm, am „strategischen Kompass“ der EU, die politische Solidarität mit der Ukraine, die Erhöhung des Verteidigungsetats. Lobenswert, aber eben im Rahmen dessen, was die verfassungsrechtlich vorgegebene Neutralität hergibt.
Das wird sich in den kommenden Jahren nicht ausgehen. Wenn der US-Schutzschirm wegfällt und Europa allein für seine Sicherheit sorgen muss, wird offensichtlich, dass uns die Neutralität nicht schützt: In diesem neuen Zeitalter räuberischer Großmächte bleibt kleinen Staaten wie unserem zur Sicherung unserer Freiheit nur demonstrative Wehrhaftigkeit.
Da reden wir noch gar nicht davon, ob wir anderen wie der Ukraine helfen wollen – sondern nur einmal davon, ob wir signifikant Widerstand leisten könnten, wenn wir auf einmal russischer Aggression ausgesetzt wären, ob hybrid oder konventionell. (Zur Erinnerung: Sollte die Ukraine fallen, wären wir nur noch durch das Russland-freundliche Ungarn von Putins Reich getrennt.)
Wir sind schon in einem Verteidigungsbündnis
Davon sind wir momentan weit entfernt. Für die Herstellung einer solchen Wehrhaftigkeit gibt es unterschiedliche Varianten. Klar, man kann das schon allein, im Rahmen der Neutralität, machen - indem man unser Heer massiv aufmagaziniert und auch die zivile Landesverteidigung stärkt.
Einfacher und effektiver wäre es allerdings, klar auszusprechen, wohin der Weg ganz offensichtlich geht: Dass wir mit der EU längst einem Verteidigungsbündnis angehören, dass unser Heer sich klarerweise in Richtung Verbandsfähigkeit mit anderen europäischen Staaten entwickelt und dass es nicht zuletzt für die heimische Industrie (etwa die herausragenden österreichischen Drohnenhersteller) von Vorteil wäre, bei der europäischen Aufrüstung mit dabei sein zu können. Und dass die Neutralität längst ein ausgehöhltes Relikt ist, das uns auf diesem Weg mehr hindert als nützt.
Gerade im Licht der Entwicklungen der letzten Tage wäre es richtig, diese Diskussion an die Öffentlichkeit zu holen. Die Regierungserklärung wäre ein guter Startpunkt für eine Debatte, ob die Neutralität noch zeitgemäß ist. Warum nicht – abseits der Parteipolitik – eine Volksabstimmung ansetzen, ob Österreich unter diesen Umständen „neutral“ bleiben soll?
Die Ergebnisse könnten manche überraschen.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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