|
|
|
|
| Liebe Leserinnen, liebe Leser!
|
| Schon wieder ist es der Verfassungsgerichtshof, der Gesellschaftspolitik macht. Mit ihrer Entscheidung, dass künftig auch das „Social Egg Freezing“ erlaubt sein muss – also die Möglichkeit für Frauen, sich aus freien Stücken (statt wie bisher nur aus medizinischen Gründen) Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen – haben die 14 Höchstrichterinnen und -richter der gewählten Politik den Schneid in Fragen von Leben und Tod abgenommen. Kein Einzelfall, wenn man etwa ans Ermöglichen der aktiven Sterbehilfe in der vorigen Legislaturperiode zurückdenkt.
|
|
|
|
|
|
|
| Das ist schade, besonders da jetzt alle Parteien draufkommen, dass sie die Option auf „Social Egg Freezing“ eigentlich eh gut finden – auch aus der Volkspartei, traditionell eher auf der Bremse bei der gesellschaftspolitischen Liberalisierung, hat sich Familienministerin Claudia Plakolm positiv geäußert.
|
|
| Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren. Er erscheint jeden Dienstag Nachmittag.
|
|
Wenn das so ist, muss man sich schon fragen, was da schiefläuft in unserem politischen Prozess: Dass es in einer für die Betroffenen durchaus zeitkritischen Frage erst den Verfassungsgerichtshof braucht, um eine Entscheidung herbeizuführen, für die eh alle sind, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Man hat da schon den Eindruck, das Parlament hat in den vergangenen Jahren verlernt, ohne Zwang von außen gesellschafts- und familienpolitische Fragen kontrovers zu verhandeln – und lieber mit Milliarden Euro für Familienboni und Kinderbetreuung um sich geworfen, statt Grundsatzfragen zu diskutieren und zu entscheiden.
Das Erkenntnis des VfGH sollte ein Anlass sein, sich solchen ethisch schwierigen Fragen zu stellen. Zum Beispiel in den folgenden drei Belangen.
Erstens: Auch wenn die Damen und Herren Verfassungsrichter die volle Frist gewährt haben, sollte sich die Koalition nicht bis 2027 Zeit lassen mit einer Nachfolgeregelung. Es ist zwar so, dass Fristen in Österreich sehr gerne bis zur letzten Minute ausgereizt werden, aber gerade in diesem Fall wäre – wo doch jetzt eh alle für die Freezing-Option sind – ein wenig Eile angebracht. Denn für die betroffenen Frauen geht es eben darum, die Eizellen möglichst früh zu konservieren, um die Chancen auf das gesunde, eigene Kind zu bewahren. Ein Jahr früher oder später kann da tatsächlich einen Unterschied machen – und das sollte nicht am Gesetzgeber scheitern.
Man muss ja nicht gleich hudeln: Altersgrenzen und andere methodische Fragen gehören fein gegeneinander abgewogen und ausformuliert. Aber mit ein wenig gutem Willen sollte nichts dagegensprechen, den VfGH zu überholen und „schon“ im ersten Halbjahr 2026 mit einer Nachfolgeregelung ins Parlament zu kommen.
Zweitens: Der Fortschritt in der Fortpflanzungsmedizin und die Fragen, die sich daraus ergeben, machen nicht beim Egg Freezing Halt. Schon bald wird der VfGH darüber erkennen, ob die künstliche Befruchtung nicht auch alleinstehenden Frauen offenstehen sollte – oder ob die Möglichkeit auf Paare beschränkt bleibt. So faszinierend es sein mag, solche gesellschaftspolitischen Entscheidungen von einem seriösen Juristengremium wie dem Verfassungsgerichtshof fällen zu lassen: Eigentlich gehören solche grundsätzlichen Fragen in das Parlament. Und zwar nicht nur dann, wenn Höchstgerichte das erzwingen – es ist der Kern der Aufgaben der Abgeordneten, sich auch unbequemen Themen immer wieder zu stellen, sie öffentlich zu diskutieren und, am Ende, darüber abzustimmen. Eine Enquete zur Fortpflanzungsmedizin wäre, mehr als zehn Jahre nach der letzten substanziellen Novelle in der Sache, hoch an der Zeit – damit es nicht wieder dem VfGH obliegt, die großen Fragen zu stellen.
Bleibt der schwierigste Punkt, drittens: Dass Menschen mit den komplexen ethischen Einlassungen der Fortpflanzungsmedizin fremdeln, hat nicht zuletzt mit der Unüberschaubarkeit dieser postmodernen Gesellschaft zu tun. Die Kehrseite der beispiellosen Freiheit, die die Loslösung von fixen Rollenbildern, Karriere- und Familienverläufen mit sich gebracht hat, war und ist eben die Unsicherheit: Wann ist der Zeitpunkt, eine Partnerschaft einzugehen? Wann, Kinder zu bekommen, usw.? Die Politik ist hier in der für alle Seiten erfreulichen Lage, keine Antworten geben zu müssen. Aber sie sollte die staatlichen Institutionen so ausrichten, dass die vielen unterschiedlichen Lebensmodelle, die Bürgerinnen und Bürger aus dieser Freiheit bauen, möglichst alle ihren Platz finden.
Dass es sowohl gute öffentliche Betreuungsplätze für Kinder gibt als auch soziale Absicherung für jene Eltern, die ihre Kinder lieber selbst betreuen. Dass es einen Ausgleich gibt zwischen jenen, die sich gegen Kinder entscheiden und jenen, die Eltern werden. Und, ja: Auch, dass die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin, Eltern zu werden, in einem vertretbaren Rahmen solidarisch mitfinanziert werden. Das alles sind Bausteine einer modernen Familienpolitik.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
|
|
|
|
© Satzbau Verlags GmbH
|
|
|
|
|