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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Das Schuljahr ist um, zumindest hier im Osten, und die Legislaturperiode ist ihm dicht auf den Fersen. Während die Republik inzwischen immerhin fix weiß, wann wir einen neuen Nationalrat wählen – Ende vergangener Woche hat die Regierung die Wahl für 29. September ausgeschrieben –, bin ich jetzt erst einmal ein paar Wochen weg. Das hat den Nachteil, dass diese, kommende und übernächste Woche aktuelle Ereignisse hier im Leitfaden keine Beachtung finden werden – ich ersuche um Nachsicht.
Der Vorteil: Es ist eine schöne Gelegenheit, einmal ein bisschen abseits des Tagesgeschäfts Bilanz zu ziehen darüber, wie sich die Parteien in den vergangenen Jahren so getan haben – was gelungen ist, wo sie im Hinblick auf die Wahl und danach offene Baustellen haben. Sagen wir: drei gelungene Projekte, drei Schwächen. Fangen wir mit der ÖVP an, noch die größte Partei des Landes – und die, die vermutlich am tiefsten stürzen wird bei der Wahl.
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Jetzt bin ich niemand, der einer Partei sagen kann oder will, wie sie Wahlen gewinnt. Es scheint mir auch sinnlos, Parteien für ihre grundlegenden ideologischen Positionen zu kritisieren oder sie justament „ändern zu wollen“. Aber ich habe ein halbwegs klares Bild davon, was für Politik sie in den vergangenen Jahren in der Sache gemacht hat, was es ohne sie so nicht gegeben hätte – und ich würde sagen, die ÖVP muss sich für einiges nicht verstecken, auch wenn das meiste davon mit einem großen „Aber“ kommt.
Ukraine, Heer und Steuern
Da ist zunächst einmal die Ukraine-Politik. Auch, wenn ich mir persönlich mehr gewünscht hätte: Dass die Republik sich trotz ihrer engen Russland-Connection innerhalb des im Rahmen der Neutralität Möglichen klar hinter Putins Opfer gestellt, der Ukraine Hilfe leistet und sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat, ist leider keine Selbstverständlichkeit, wenn man zu Konservativen nach Ungarn oder Serbien oder auch in andere hiesige Parteien schaut. (Ähnliches gilt für die vorbehaltlose Unterstützung Österreichs für Israel.)
Ein zweites, verwandtes Thema, das die Volkspartei für sich verbuchen kann, ist die begonnene Wieder-Aufrüstung der Republik. Auch, wenn die Partei für den bedauernswerten Zustand des Heers in den vergangenen Jahrzehnten mitverantwortlich war: Die Milliarden, die für Wiederinstandsetzung (und auch für die Teilnahme an der internationalen Initiative „Skyshield“) vorgesehen sind, sind eine gute Investition in die Zukunft.
Ebenfalls für sich verbuchen kann die ÖVP mehrere Steuererleichterungen – höhere Familienfreibeträge, niedrigere Abgaben für Unternehmen, besonders aber: die Abschaffung der „Kalten Progression“. Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob die Republik sich hier nicht eine Lunte für dramatische politische Konflikte um Sparpakete in den nächsten Jahren gelegt hat – aber dass die Republik nicht mehr automatisch davon profitiert, dass die Inflation uns in höhere Steuerklassen schwemmt (und dass, parallel dazu, Sozialleistungen automatisch angepasst werden), ist ein guter Schritt in Richtung mehr Klarheit, was der Staat uns abnehmen darf und welche Leistungen wir dafür bekommen sollen.
Schulden, Treibhaus, Partei und Staat
Das sind für mich gute Seiten. Ihr gegenüber stehen aber auch Schwächen, an denen die ÖVP schnellstmöglich arbeiten sollte.
Die erste ist ein gefährlicher Verlust von etwas, das sie jahrzehntelang als ihre DNA betrachtet hat: Nach den „koste es, was es wolle“-Ausgaben der vergangenen Krisenjahre hat die ÖVP – immerhin die Partei des Finanzministers – es nicht geschafft, ein nachvollziehbares Bild zu zeichnen, wie die Republik wieder auf einen nachhaltigen Finanzkurs kommen soll. Das mag ein erlernter Reflex aus Zeiten der Großen Koalition sein, nicht immer als Neinsager und Sparzwängler dastehen zu wollen. Aber das Gefüge der Republik braucht gerade jetzt eine große Partei, die das Budget auch mit unpopulären Maßnahmen saniert.
Zweitens hat die türkise Truppe trotz (oder: gerade wegen) ihres grünen Partners keine kohärente Vision entwickelt, wie sich ihr selbst gesetztes und im Regierungsprogramm verankertes Ziel der Klimaneutralität binnen zwei Jahrzehnten mit jenen Dingen auf einen Nenner bringen lassen soll, die sie nun für sakrosankt erklärt: Ob das der Verbrenner ist, eine Raumordnung von vorgestern, die plötzliche Abneigung gegen Ordnungspolitik oder der Widerstand gegen einen wirklich angemessen hohen CO2-Preis. Ein Versäumnis gerade jener Partei, die die „ökosoziale Marktwirtschaft“ für sich reklamiert.
Und zuletzt mag die Partei zwar mit der Kurz-Zeit (vorerst) abgeschlossen haben. Aber eine entschlossene Absage an das, was dessen Fall ausgelöst hat – mangelnde Unterscheidung zwischen Staat und Partei, Postenschacher und populistische Ausritte wie das Schengen-Nein – steht immer noch aus. Es würde der ÖVP guttun, ihre letzten Jahre gründlich zu reflektieren.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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