Das intellektuelle Zentrum der neurechten Bemühungen, die Ökologie zurückzuerobern ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
                                                           
DATUM Breitengrade
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Anwesend waren neben Aushängeschild Martin Sellner laut ›Rechercheplattform zur Identitären Bewegung‹ rund 35 Menschen. Darunter eine Schweizer Aktivistin, die in der rechtsextremen Jugendgruppe ›Junge Tat‹ eine große Rolle spielt. Vor ihrem Engagement bei der dominierenden Organisation der rechtsextremen Szene in der Schweiz hatte sie noch in Basel den ersten Klimastreik der ›Fridays for Future‹ mitorganisiert. Dass das Event ein solches Klientel anzieht, dürfte kein Zufall sein. Der ausrichtende Verlag ›Jungeuropa‹ gehört Philipp Stein, der auch den Verein ›Ein Prozent e.V.‹ leitet – in seinen eigenen Worten das ›Greenpeace für Deutschland‹. Und last but not least: der ›Oikos Verlag‹, seine Zeitung für Naturschutz Die Kehre und deren Chefredakteur Jonas Schick.
Dieser Text ist Teil drei der Breitengrade-Recherche zu rechten Ökos. Falls du die ersten beiden Newsletter verpasst hast, kannst du sie hier (1) 
und hier (2) nachlesen.
Volker Zierke, Philipp Stein, Jonas Schick und Benedikt Kaiser (v.l.n.r.). Als Caption haben die identitären Aktivisten einen Songtitel der Band ›Ton, Steine, Scherben‹ gewählt.
Foto: Screenshot
Schick kommt aus der Jungen Alternative, der Jugendgruppe der rechtsextremen AfD, und war auch lange bei der Identitären Bewegung in Bremen beheimatet. Er arbeitet als parlamentarischer Mitarbeiter bei einem AfD-Bundestagsabgeordneten und schrieb für Götz Kubitscheks rechtsextreme Zeitschrift Die Sezession. Seit 2020 ist er Chefredakteur der Kehre.
Die Gründung der Zeitschrift für Naturschutz markiert laut Historiker Stefan Rindlisbacher den vorläufigen Höhepunkt einer Strategie, die bereits 2008 im Umfeld von Kubitschek begann. Damals kam die Klimabewegung gerade so richtig ins Rollen. Mit dem Kyoto-Protokoll wurde in dieser Zeit das erste große internationale Klimaabkommen umgesetzt. ›Und das hängt zusammen‹, sagt Rindlisbacher, der zur neuen ökologischen Rechten im DACH-Raum forscht. ›Die neue Rechte hat damals schon versucht, diese hochaktuellen Themen aufzunehmen und dazu eine rechte Lesart zu bieten.‹ Kubitschek schreibt etwa in der Sezession im Juni 2008 einen Artikel zur ›ökologischen Frage‹. Darin nennt er die aus seiner Sicht echten globalen Aufgaben: ›den Kampf gegen den Klimawandel, die Organisation des Überlebens der Menschheit und die Durchsetzung der weltweit gerechten Ressourcenverteilung.‹
Genauso liest sich auch die Kehre: auf den ersten Blick alles andere als rechtsextrem. Viele der Themen scheinen eher aus einer linken Ecke zu kommen: Degrowth, Übernutzung der Natur, schmelzende Gletscher. Erst ab dem zehnten Absatz des Artikels, erst ab Minute 30 der Heftpräsentation auf YouTube fällt die ideologische Schlagseite auf. Migration wird als ökologisches Problem geframt, auf Ideen von Carl Schmitt – ein Nazi-Philosoph – wird zurückgegriffen und bei der Präsentation der Ausgabe ›Ökologie und Militanz‹ sagt Schicks Gesprächspartner, die Ökologie sei mit Themen ›belastet‹ worden, die dort gar nichts zu suchen hätten: etwa Feminismus und Antirassismus.
Dass die Kehre sich als Zeitung für Natur- und nicht für Umweltschutz betitelt, ist ebenso kein Zufall. Das hat einerseits den Grund, dass Schick den Fokus vom Klimaschutz wieder zurück zur Natur lenken möchte. Andererseits ist Natur auch in anderen Kontexten ein zentraler Begriff für die extreme Rechte. ›Wer sich über die natürliche Ungleichheit, auch die der Menschen, hinwegsetzt, versündigt sich quasi an der natürlichen Ordnung‹, erklärt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands diese Ideologie.
Das Verlagstreffen hoch über der Donaustadt ist aber nur ein Teil der österreichischen Verbindungen der Rechten Ökos. Für einen weiteren machen wir einen Schauplatz-, jedoch keinen Szenenwechsel.
Im Ferdinandihof in Wien Margareten fand die Lesung von Zierke bei Regen und Kerzenschein statt. Foto: Theo Winkler
Es ist ein verregneter Septembertag im Wien von 2024. Vor der Linse des Antifa-Fotografen tanzt Martin Sellner herum und versucht, die hereintröpfelnden Gäste mit einem schwarzen Regenschirm vor ungewollten Fotos und Videos zu schützen. Die Gesichter von Ursula Stenzel und Götz Kubitschek blitzen trotzdem kurz durch. Sie eilen in den Ferdinandihof in Margareten zu einer Lesung, organisiert vom ›Jungeuropa‹-Verlag, der mittlerweile den ›Oikos‹-Verlag geschluckt hat und die Kehre herausgibt. Der Ferdinandihof – ebenfalls eine Hochzeitslocation – gehört Ronald Schwarzer, einem Mann mit markantem Schnurrbart, der 2023 die FPÖ-Delegation zum Taliban-Regime nach Afghanistan begleitete. Bei Kerzenschein in mittelalterlicher Atmosphäre liest der identitäre Aktivist Volker Zierke aus seinem neuen Buch vor. Zierke ist neben Jonas Schick der zweite Hauptbeitragende zur Kehre. Die beiden stellen regelmäßig die neuen Ausgaben auf ihrem YouTube-Kanal vor.
Die rechten Ökos unterhalten also sowohl in Deutschland als auch in Österreich gute Kontakte zu den am weitesten rechtsstehenden Parteien im Parlament. Dass ihre Denke aber bereits eine breitere Zielgruppe anspricht, zeigt auch, dass es Schick erst kürzlich gelang, ein Interview mit Reinhold Messner für das Fünf-Jahres-Jubiläum der Kehre zu bekommen. In der gleichen Ausgabe begegnet uns auch ein alter Bekannter wieder – Thomas Behm, der mit Herbert Kickl Berge besteigt und seine Kletterrouten mit nationalsozialistisch konnotierten Begriffen benennt, ist in gleich zwei Beiträgen der Ausgabe vertreten.
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Schlussendlich docken Jonas Schick und die Kehre auch im Medien-Vorfeld der FPÖ an. Seit gut zwei Jahren ist Schick beim rechtsextremen Alternativmedium AUF1 häufiger Interviewpartner gegen den ›Klimawahn‹ und für alles, was mit Naturschutz zu tun hat. Beispielsweise sagte er zu den verheerenden Überflutungen letztes Jahr, dass der Einfluss der Klimakrise auf solche Hochwasser nur verschwindend gering sei. Die Geosphere Austria berechnete allerdings, dass die Fluten in Niederösterreich durch die Erderwärmung um sieben Prozent verschlimmert wurden. Schicks Interview wurde damals auch am AUF1-Telegramkanal mit über 300.000 Abonnent:innen geteilt. ›Da werden viele der Inhalte öfter gesehen als Videos in der ORF-Mediathek‹, sagt Felix Lippe von der Bundesstelle für Sektenfragen. Das Naturschutz-Magazin gibt es auch im AUF1-Online-Shop zu kaufen.
Unsere Recherche führte uns nun von einem Identitären Sympathisanten bei den österreichischen Naturfreunden über die Anastasia-Sekte am Saum des Rechtsextremismus bis ins intellektuelle Zentrum der neurechten Bemühungen, die Ökologie zurückzuerobern. Obwohl dieses Netzwerk weite Kreise zieht, bleibt für Österreich die Forschungslage dünn. Felix Lippe wird sich in den nächsten Jahren möglichen Verbindungen der Anastasia-Bewegung hierzulande in die neonazistische Szene widmen. Auch Bernhard Weidinger vom DÖW glaubt, dass gerade im rechtsesoterischen Bereich noch einiges unter dem Radar fliegt. Die Diskussion zur rechten Unterwanderung des Naturschutzes, die in Deutschland längst geführt wird, hat unsere NGOs und Vereine noch nicht erreicht. Am Schluss kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Ist das Problem in Österreich einfach viel kleiner als bei unseren Nachbarn – oder sehen wir nicht genau genug hin? Historiker Stefan Rindlisbacher hat eine Einschätzung dazu: ›Aus meiner Sicht gibt es keinen Unterschied zu Deutschland. Man hat genau gleich viel rechtsextreme und rechte Ökos in Österreich und der Schweiz.‹
 
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Herzliche Grüße
Paul Koren

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