‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
                                                           
DATUM Leitfaden
NEWSLETTER
Was uns nach Kärnten führt. Dort ging am Sonntag – und zwar just an jenem Tag, an dem in Österreich mehr Windstrom erzeugt worden ist als je zuvor - die Volksbefragung über, bzw. eher gegen den Ausbau der Windkraft über die Bühne. Und daraus lässt sich einiges über Nutzen und Schaden direkter Demokratie lernen. 

Bei einer Beteiligung von 35 Prozent haben 76.500 Menschen und damit 51,5 Prozent der Teilnehmer folgender Formulierung zugestimmt: „Soll zum Schutz der Kärntner Natur (einschließlich des Landschaftsbildes) die Errichtung weiterer Windkraftanlagen auf Bergen und Almen in Kärnten landesgesetzlich verboten werden?“ Dagegen und somit für den Ausbau der Windkraft stimmten 72.000 Menschen.

Was für die direkte Demokratie spricht …
Ich mache kein Hehl daraus, dass ich mir ein anderes Ergebnis der Abstimmung gewünscht hätte. Windenergie ist ein sinnvoller Teil der Energiewende hin zu einer CO2-neutralen und vom Ausland unabhängigen Versorgung. Sie ergänzt ideal Wasser- und Solarenergie: Sehr vereinfacht gesagt, wenn die Sonne gerade nicht scheint, weht dafür oft der Wind. Rational betrachtet spricht im Sinne von Wohlstand, Wirtschaft und Sicherheit also einiges dafür, so viele Windräder wie möglich aufzustellen und sie mit starken Netzen im ganzen Land zu verbinden.
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren. Er erscheint jeden Dienstag Nachmittag.
Viele, die ähnlich denken, haben seit Sonntag die Kärntnerinnen und Kärntner verflucht, auch mit Verweis darauf, dass es bei mit Sesselliften zugepflasterten Bergen auch schon egal sei, ob da noch ein paar Windräder dazukämen. Bei aller Frustration: Das ist eine eher simple Sichtweise. Denn natürlich hat Windkraft z. B. einen massiven landschaftlichen Impact. Wer Windräder hässlich findet, wem Landschaftsschutz ein echtes Anliegen ist, bei dem kann die Abwägung, ob man Energie lieber günstig im eigenen Land erzeugt statt von teureren Importen abhängig zu sein, auch anders ausgehen. 

Ob wir Windräder bauen wollen, ist eben eine von unzähligen Entscheidungen über das Zusammenleben in unserem Land, die wir politisch treffen müssen. Und es ist eine so grundsätzliche, dass sie sich prinzipiell gut für direkte Demokratie eignet – das Landschaftsbild, die konkreteste Auswirkung von Raumplanung, springt uns buchstäblich so sehr ins Auge, dass man durchaus argumentieren kann, möglichst viele Betroffene in die Entscheidung miteinzubeziehen.

… und was dagegen
Dagegen spricht auf der anderen Seite, dass es Infrastrukturprojekte durch zahlreiche Genehmigungsverfahren ohnehin schon schwer genug haben, jemals realisiert zu werden – wer nicht eines Tages im Museum Österreich aufwachen möchte, sollte besser dreimal überlegen, ob er Unternehmern noch zusätzlich die Hürde eines öffentlichen Votums entgegenstellt. (Faszinierend übrigens, dass x-Mal über Windkraftwerke abgestimmt wird, aber nie über neue Schnellstraßen.)

Aber so oder so: Wenn man eine solche Entscheidung schon der Bevölkerung übertragen möchte, dann sollte man es besser machen als dieses Worst-Case-Beispiel eines Plebiszits in Kärnten.

Da ist, erstens, die Fragestellung. Dass die tendenziös bis dorthinaus gegen die Errichtung von Kraftwerken ist, ist offensichtlich. Dass der Schutz der Natur auf der einen Seite genannt wird, der Nutzen solcher Kraftwerke aber nicht vorkommt, entwertet das Votum beträchtlich. Besser wäre eine neutrale Fragestellung „Soll Kärnten die Errichtung neuer Windkraftwerke auf Bergen verbieten?“ – und ein Gremium, das vor der Zulassung einer solchen Befragung über diese Neutralität wacht.

Zweitens, die Information der Bürgerinnen und Bürger: In der Schweiz produziert die Regierung vor jeder Abstimmung ein exzellentes Dossier zu der Entscheidung – das „Abstimmungsbüchlein“. Darin stehen einander alle Auswirkungen der Entscheidung – Kosten, politische Folgen, Argumente der Befürworter und Gegner – ausführlich gegenüber. Jeder Bürger kann sich auf dieser Basis eine informierte Meinung bilden. Wer „mehr Schweiz“ für Österreich fordert, sollte sich auch für eine solche Möglichkeit der Meinungsbildung einsetzen.

Und drittens: die Kärntner Volksbefragung ist in einer unangenehmen Grauzone. Im Gegensatz zu einer Volksabstimmung ist ihr Ergebnis nicht verbindlich, sondern eine reine „Erforschung des Willens der Landesbürger“, wie es in der Landesverfassung heißt. Es ist ein Dilemma für alle Seiten: Für die Bürger – sollen sie eine so schlampig aufgesetzte Frage durch ihre Teilnahme aufwerten oder sie durch niedrige Beteiligung delegitimieren? Und was soll die Politik jetzt damit anfangen – niedrige Wahlbeteiligung, ein knappes Ergebnis, keine Verbindlichkeit? Lose-lose-Situationen auf allen Seiten.

Wenn man es mit der direkten Demokratie ernst meint, wird an der Verbindlichkeit kein Weg vorbeiführen – entweder indem man gleich das Instrument der Volksabstimmung wählt, oder indem sich die Parteien vor einer Befragung einigen, das Ergebnis ab einer gewissen Beteiligung jedenfalls als politisch bindend anzusehen.

Aber so ist das nichts.

Herzlich,
Ihr Georg Renner


Newsletterprofil aktualisierenAbmelden
DATUM Logo

© Satzbau Verlags GmbH
AboImpressum & DisclaimerDatenschutz