‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
                                                           
DATUM Leitfaden
NEWSLETTER
  Georg Renner
Liebe Leserinnen, liebe Leser!


Jetzt ist endlich ein Fall dokumentiert, der in den vergangenen Jahren oft theoretisch durchgespielt worden ist: Durch verschiedene Sozialleistungen – primär die Sozialhilfe, die in Wien entgegen der türkis-blauen Reform von 2018 noch immer „Mindestsicherung“ heißt – bezieht eine neunköpfige syrische Familie rund 4.600 Euro im Monat vom Staat

Jetzt ist das natürlich total interessant zu diskutieren, weil es viele gesellschaftspolitische Spannungsfelder auf einen Punkt bringt: Wie finanziell attraktiv Migration nach Österreich sein soll, wenn man hier nicht sofort Arbeit findet. In welchem Ausmaß wir Mitmenschen in Österreich abseits der Sozialversicherungsleistung absichern wollen. Was Kinder uns als Gesellschaft wert sind – auch solche, die nicht hier geboren sind. Inwieweit sich Arbeit im Vergleich zu Sozialleistungen auszahlen soll, und so weiter. 

Viel Pathos für einen Grenzfall
Konsequenterweise ist in den vergangenen Tagen mit viel Pathos diskutiert und geschrieben worden, ob diese 4.600 Euro nun angemessen sind oder nicht. Ich habe dazu auch eine Meinung und ich will niemandem sein Engagement streitig machen – aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass wir da ziemlich viel politische Energie an einen im Gesamtkontext eher irrelevanten Punkt verschwenden.
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren. Er erscheint jeden Dienstag Nachmittag.
Wenn das so weitergeht, wird Folgendes passieren: Wir werden den halben Wahlkampf und die Zeit danach damit verbringen, Politikerinnen und Politiker zu fragen, was denn nun eine angemessene Höhe für eine Sechs-Kinder-Familie ist. Die wiederum werden sich gegenseitig soziale Kälte, Steuergeldverschwendung, Willkommensklatschertum und andere eher mittel schmeichelhafte Attribute um die Ohren hauen.
 
Nach der Wahl wird in einem Koalitionsprogramm die eher vage Ansage stehen, die Sozialhilfegesetze sollen evaluiert und nachgeschärft werden. Ein, zwei Jahre später – je nachdem, wie lange die Länder brauchen werden, um klar zu machen, dass sie sich vom Bund sicher nichts sagen lassen – wird die neue Koalition dann eine Reform des Bundes-Sozialhilfegesetzes verabschieden, die pro forma ein paar Punkte korrigiert und die Familie in unserem Beispiel vielleicht ein paar hundert Euro im Jahr kosten würde. Wenn, erstens, die Länder die Reform überhaupt umsetzen (mehrere sind jetzt noch bei der türkis-blauen Reform säumig) und die, zweitens, vor dem Verfassungsgerichtshof hält (der bei besagter Reform ziemlich strenge Maßstäbe angelegt hat). 

All das, um dann rechtzeitig vor der nächsten Wahl vielleicht draufzukommen, dass die nunmehr „nur“ noch 4.000 Euro Sozialleistungen oder wie viel es dann eben ist für eine solche Familie noch immer recht viel Schotter sind. Rinse and repeat.

Lohnendere Diskussionspunkte
Wenn das so kommt, wäre das ziemlich viel Aufwand um einen Grenzfall (aktuell sind in Wien 13 Familien mit sieben Kindern in der Mindestsicherung). Auch wenn man verstehen kann, dass das Thema Bürgerinnen und Bürger emotionalisiert: Sinnvoller wäre es, den Moment für intelligentere Fragen zu nutzen als aus dem Bauch heraus über die Höhe der Sozialhilfe zu diskutieren. 

Zum Beispiel, wie man verhindert, dass besagte Kinder eines Tages selbst auf das Sozialsystem angewiesen sind: Wie an dieser Stelle schon einmal angemerkt, steigt der Anteil jener Schüler, die dem Unterricht mangels Deutschkenntnissen nicht folgen können, seit Jahren in völlig unzumutbare Höhen – in manchen Bezirken betrifft das bis zu zwei Drittel der Volksschulkinder. Ein Problem, das nicht nur durch Neuankömmlinge oder Familiennachzug entsteht, sondern auch bei Kindern, die hier geboren sind und Wiener Kindergärten besucht haben. 

Bleibt das so, ist das der Weg in die Katastrophe: Wer im Bildungssystem nicht einmal Deutsch lernt, läuft Gefahr, auch als Erwachsener auf Sozialhilfe angewiesen zu bleiben, statt sein Leben selbst in die Hand nehmen zu können und ein produktives Mitglied unserer Gesellschaft zu werden – eine Lose-lose-Situation für alle Beteiligten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf; vom Bildungsminister abwärts sollte sich jeder Amtsträger Gedanken machen, wie man diesen Trend korrigiert.

Föderalen Knoten zerschlagen
Zweitens wird man sich die Frage stellen müssen, wie man die relativ hohe Arbeitslosigkeit in Wien mit dem steigenden Arbeitskräftemangel vor allem in den westlichen Bundesländern auf einen Nenner bringt. Dass es Migranten aus naheliegenden Gründen – nicht nur die finanziellen Anreize sprechen dafür, auch bestehende Netzwerke – in die Hauptstadt zieht, ist nachvollziehbar; aber wenn Migration der Republik nützlich sein soll, werden sehr bald Anreize benötigt werden, sie dorthin zu steuern, wo sie am meisten gebraucht wird. 

Zuletzt wäre es ein guter Anlass, noch einmal über die geteilte Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern nachzudenken: Neben dem Armenwesen, unter das die Sozialhilfe fällt, ist das vor allem im Elektrizitätswesen und bei den Spitälern der Fall. Wenn man einmal über politische Machtfragen hinwegsieht, wird man zu dem Schluss kommen, dass diese Verknüpfung – der Bund stellt Grundsatzgesetze auf, die Länder beschließen dann einzelne Ausführungsgesetze – im Österreich des 21. Jahrhundert schlicht nicht mehr sinnvoll ist. Dieser föderale Knoten sollte rasch zerschlagen werden – und entweder Bund oder Länder allein zuständig.

Herzlich,
Ihr Georg Renner
DATUM Logo

© Satzbau Verlags GmbH
AboImpressum & DisclaimerDatenschutz