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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Der Kopf sagt Paris, der Bauch sagt Villach. Während die (enttäuschenden) Beratungen der EU-Spitzen in Frankreich darüber, wie das militärische Vakuum ohne US-Schutzschirm gefüllt werden kann, objektiv eine weit größere Rolle für unsere Freiheit, den Wohlstand und unsere Sicherheit spielen werden, komme ich seit Tagen gedanklich nicht an dem Anschlag in Kärnten vorbei – und daran, ob und welche politischen Konsequenzen er haben sollte.
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Auf den ersten Blick klingt natürlich alles hohl und hilflos, was der Staat sagen und tun kann, wenn ein 23-jähriger Islamist wahllos auf Passanten einsticht und dabei ein Kind ermordet und weitere schwer verletzt. Beileidsbekundungen, Solidaritätsappelle oder die bahnbrechende Erkenntnis, dass der politische Islam halt schon ein Problem sei, greifen da genauso kurz wie etwa die Idee des Innenministers von „anlasslosen Massendurchsuchungen“.
Ein massives Problem
Machen wir, bei aller Erschütterung, einen Schritt zurück. Nüchtern betrachtet haben wir ein massives Problem, bedingt zu großen Teilen durch das Aufeinandertreffen mehrerer Trends.
Erstens ist da die Migrationssituation: In den vergangenen 15 Jahren hat sich mit hoher Geschwindigkeit die Zahl der Menschen in Österreich vervielfacht, die hier bisher kaum kulturelle Anknüpfungspunkte hatten. Anfang 2010 lebten zum Beispiel knapp unter 1.500 gebürtige Syrer in Österreich, heute sind es rund 105.000.
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Eine Massenwanderung, die, zweitens, nur ungenügend von Integrationsbemühungen begleitet worden ist: Die heimische Politik hat die Asylwerber unter ständigem Verweis darauf, dass die Leute ja eh nicht alle bleiben würden, über Jahre in Heimen dahinvegetieren lassen, statt ab der ersten Minute Deutschkurse und Arbeitsmarktintegration aufzustellen – und die Teilnahme daran mit Sanktionen einzufordern. Und statt anerkannte Flüchtlinge per Residenzpflicht im ganzen Land zu verteilen, hat man die Ballung in den Städten zugelassen, wo alle Beteiligten von Schulen und Kindergärten bis zu den Sicherheitsbehörden mittlerweile überfordert mit der Situation sind.
Dazu kommt, drittens, die hyperalgorithmisierte Medienwelt, die radikalisierenden Content in Windeseile per Smartphone in Kinderzimmer und Köpfe streamt. Manches davon ist offensichtlich jenseitig wie die radikalen Prediger des IS, anderes schleichendes Gift wie die „haram“-Influencer, die vorgeblich nur einen gottgefälligen Lebensstil vorleben – in einer dezentralen Religion wie dem Islam, der keine Glaubenskongregation, keine Lehre ex cathedra kennt, eine schiefe Ebene Richtung Abgrund.
Das alles trifft, viertens, auf eine bald drei Jahre dauernde Wirtschafts- und Teuerungskrise, die es jungen Menschen – und besonders Neuankömmlingen - noch einmal schwerer macht, Einkommen, Anschluss und Erfüllung zu finden.
Rechtfertigt das irgendwas? Natürlich nicht. Ein Mord bleibt ein Mord, das banale Böse eine individuelle Entscheidung. Niemand kann sich, ganz besonders nicht in einem großzügigen Sozial- und Einwanderungsstaat wie Österreich, darauf ausreden, was „die Gesellschaft“ aus ihm gemacht hat. Schon gar nicht, wenn gegenüber solchen Einzelfällen gleichzeitig zehntausende andere Migranten – etwa jener ebenfalls aus Syrien stammende Essensbote, der den Attentäter gestoppt hat – zeigen, dass Integration auch funktionieren und am Ende ein Gewinn für alle Beteiligten sein kann.
Keine schnellen Antworten
Aber es wäre auch fahrlässig, die strukturellen Gegebenheiten nicht anzusprechen, die dazu führen, dass Anschläge wie jener in Villach leider keine Einzelfälle bleiben werden. Unmittelbar lässt sich dagegen nur wenig machen: Wenn ein im Internet radikalisierter junger Mann mit einem Messer auf die Straße gehen will, ist es meistens schon zu spät – und kein noch so dichtes Polizei- und Überwachungsnetz wird verhindern können, dass jemand mit einem Alltagsgegenstand auf Menschen losgeht.
Das heißt aber nicht, dass der Staat komplett hilflos ist; es wird nur, und das ist die schlechte Nachricht, dauern, bis seine Politik gegen solche Anschläge wirkt. Es ist verständlich, dass sich Politikerinnen und Politiker jetzt mit Sofortmaßnahmen überbieten wollen, von der Forderung nach „Remigration“ der Zuwanderer über Generalverdacht bis hin zu einem Tiktok-Verbot.
Sie alle stoßen schnell an sinnvolle rechtstaatliche und faktische Grenzen – ob das die Meinungsfreiheit ist, die es dem Staat zurecht schwer macht, zwischen dem Predigen eines frommen Lebensstils und gezielter Radikalisierung zu unterscheiden; oder ob das Verfahrensrechte und wirtschaftliche Notwendigkeiten sind, die gewährleisten, dass wegen einzelner Verbrecher nicht ganze Bevölkerungsgruppen verfolgt werden.
Die Politik wird langfristig denken müssen. Der erste Schritt ist, die massenweise Einwanderung nach Österreich zu verringern. Das ist in Gestalt diverser EU-Maßnahmen bereits am Weg – 2024 sind die Asylantragszahlen gegenüber den Rekordjahren davor deutlich gesunken. Zweitens wird es eine intensivere Herangehensweise an Integrationsfragen brauchen – die Regierungsverhandler sollten hier einen sinnvollen Mix aus staatlichem Angebot und Nachdruck mit Pflichten und Sanktionen etablieren.
Drittens: Auch, wenn ein Verbot von Tiktok pauschal nicht sinnvoll wäre, sollte die EU weiter Druck auf die Social-Media-Plattformen machen, ihre Inhalte konsequent zu moderieren sowie mit Forschern und Deradikalisierungsprojekten zu kooperieren. Dass die USA gerade Druck in die Gegenrichtung machen, sollte die Union nicht davon abhalten, dieses Problem mit ihrer beträchtlichen wirtschaftlichen Macht anzugehen.
Dann sind da, zuletzt, die Ermittlungsbehörden: Mehr als je zuvor brauchen sie internationale Netzwerke und Verbindungen in die heimischen Migranten-Communities, um etwaige Warnsignale für Radikalisierung wahrzunehmen – im digitalen wie im analogen Raum. Da geht es bei weitem nicht nur um Polizei und Fremdenämter; eine Sofortmaßnahme sollte sein, all jenen, die Radikalisierung beobachten – Lehrerinnen, Ärzte, Sozialarbeiter, usw. – eine niederschwellige Anlaufstelle zur Verfügung zu stellen. Und zwar nicht nur, um potenzielle Täter auszumachen, sondern auch, um ihnen einen Ausstieg möglichst leicht zu machen.
„There is no glory in prevention“, heißt es – aber angesichts der Bedrohungslage nach Villach und ähnlichen Anschlägen ist sie alternativlos.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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