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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Während die Welt nach Rom schaut, schauen wir kurz einmal nach Wien. Verglichen mit dem transzendenten, internationalistischen und trotzdem so persönlichen Mechanismus eines anstehenden Konklaves – ein Hauch von Ewigkeit – kann die Gemeinderatswahl am kommenden Sonntag eigentlich kaum anders, als in Fadesse zu verblassen.
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Aber auch der Wahlkampf in den vergangenen Wochen hat das Seine dazu beigetragen, das Interesse an der Wahl niedrig zu halten. Die SPÖ will an der Macht bleiben und geht davon aus, dass die Wienerinnen und Wiener ihr das auch ermöglichen werden. ÖVP, Grüne und NEOS würden gern mit ihr regieren und haben daher auch keinen Zweifel daran gelassen, dass die SPÖ weiterhin den Ton in der Stadt angeben wird. Und die FPÖ hat ihr Ding durchgezogen, weil sie ohnehin weiß, dass niemand mit ihr zusammenarbeiten wird, der es könnte.
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Wen sollte also jemand wählen, der, sagen wir, findet, dass eine Zwei-Millionen-Stadt bei einem Budget von rund 20 Milliarden Euro keine 1,7 Milliarden Euro Schulden machen sollte? Der findet, dass sündteure Prestigeprojekte wie der Kauf eines Fußballstadions zumindest hintangestellt werden sollten, bis Wirtschafts- und Budgetsituation in ruhigeren Gewässern gelandet sind? Und der findet, dass das Sozialsystem der Stadt dringend reformiert gehörte? Ich fürchte, darüber hat zumindest mich der Wahlkampf im Unklaren gelassen.
Lebenswert bleiben
Das ist schade, denn tatsächlich gäbe es einiges zu besprechen zwischen Ist und Soll der Bundeshauptstadt.
Man muss ja nicht lange darüber diskutieren, dass Wien für eine Großstadt tatsächlich einer der lebenswertesten Orte des Planeten ist – dazu reicht der Vergleich mit so gut wie jeder anderen. Aber die Fundamente dafür sind in den vergangenen Jahrzehnten gelegt worden; bei dieser Wahl wird es darum gehen, ob die Stadt langfristig weiter so lebenswert bleibt. Eine zentrale Frage ist, wie Wien seine Rolle als „Arrival City“ handhabt, als Ankommens- und Anknüpfungspunkt für zehntausende Migrantinnen und Migranten, die es stärker nach Wien zieht als sonstwohin in Österreich.
Ein großer Teil davon ist logisch, wie mir Migrationsforscherin Judith Kohlenberger für die aktuelle DATUM-Ausgabe erklärt hat: Überall auf der Welt sind Städte das erste Ziel von Einwanderern, und der Netzwerkeffekt trägt das Seine dazu bei. Aber dass das so bleibt, und – etwa an den Wiener Schulen – zu einer problematischen Konzentration geführt hat, ist zumindest teilweise hausgemacht: statt mit dem Bund daran zu arbeiten, Sozialleistungen so zu gestalten, dass Migranten sich mittelfristig dort niederlassen, wo sie schnell Arbeit finden, hat die Wiener Landesregierung etwa die letzte Sozialhilfereform noch immer nicht umgesetzt. Das Ergebnis: der Spitzenplatz beim Sozialhilfebezug größerer Familien.
Das muss sich ändern, besonders, wenn Arbeitskräfte eher im Westen Österreichs händeringend gesucht werden, während die Wiener Systeme zunehmend überfordert sind.
Gesamthafte Lösungen
Am sinnvollsten wäre es, das Thema Sozialleistungen, die Zumutbarkeit von Arbeit und die Finanzierung des Ganzen gesamthaft anzugehen. Nicht zuletzt müsste das auch im Finanzausgleich geschehen, der Verteilung gemeinsamer Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Wien bekommt aus historischen Gründen deutlich mehr von diesem Kuchen als die anderen Länder – 2022 beispielsweise sind pro Einwohner fast 4.000 Euro nach Wien geflossen, an das Land Niederösterreich und seine Gemeinden nur rund 3.240 Euro. Geld, mit dem Wien nicht nur seinen infrastrukturellen Mehraufwand als Großstadt stemmt, sondern eben auch ein vergleichsweise großzügiges Sozialsystem.
Ob das Sinn der Sache ist, hat seit Jahrzehnten niemand hinterfragt – man hat einfach alle fünf Jahre die Verteilungsschlüssel aus der Zeit nach den Weltkriegen fortgeschrieben. Dass es jetzt, mit ÖVP und SPÖ in der Bundesregierung und einer Budgetkrise auf allen Ebenen, ein Zeitfenster gibt, solche jahrzehntealten Tabus zu brechen und eine pragmatische Debatte darüber zu führen, welchen Aufwand welche Gebietskörperschaften haben und welche Mittel sie dafür brauchen, sollte nicht ungenutzt bleiben.
Nach diesem Sonntag stehen planmäßig übrigens bis 2027 keine größeren Wahlen mehr an. In Österreich zumindest.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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