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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Unter den gelbgestreiften Sonnenschirmen simmern die Verkäufer:innen solidarisch mit ihrem Obst und Gemüse. Nicht grundlos: Das Geschäft läuft, der Kaiser-Josefs-Platz ist samstags gut besucht. Im Gewusel stecke auch ich und suche die Nadel im Heuhaufen: einen Bauern am Bauernmarkt. Neben seiner Ernte sollen bei ihm am Stand auch Flyer aufliegen. Flyer, mit denen er für eine Öko-Bewegung wirbt. Ich suche und werde von einem Markturgestein zum nächsten geschickt.
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Bisher haben meine Nachfragen bloß Kopfschütteln ausgelöst, am Rand aber, dort, wo der Markt bald zur Straße wird, senkt im Schatten ihres Standvordachs eine grauhaarige Bäuerin verschwörerisch den Kopf, als ich die Anastasia-Bewegung erwähne. Warum ich mich dafür interessiere, fragt sie. Ich merke, wirklich geheuer ist ihr das Gespräch nicht. Gehört habe sie schon von dem Anastasia-Standler, erklärt sie schließlich – über eine Kundschaft. Aber wo genau und wann er hier anzutreffen ist, weiß auch sie nicht. Dann huscht die kleine Dame weiter, Äpfel verkaufen sich schließlich nicht von allein.
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Besagter Bauer mag den meisten Standbesitzer:innen bisher nicht besonders aufgefallen sein. Das Ding ist: Mitarbeiter der Extremismuspräventionsstelle der Steiermark und der Bundesstelle für Sektenfragen wissen sehr wohl von ihm und der Öko-Bewegung, für die er mitten in Graz werben soll. Im Sortiment von Anastasia sind neben Naturverbundenheit und nachhaltigem Lebensstil auch Antisemitismus, Sexismus und großes Anschlusspotential zum rechten Rand.
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Dieser Text ist Teil zwei der Breitengrade-Recherche zu rechten Ökos. Falls du den ersten Newsletter verpasst hast, kannst du ihn hier nachlesen.
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Die Anastasia-Bewegung basiert auf der zehnteiligen Buchreihe des russischen Autors Vladimir Megre. Er erzählt darin von seiner angeblichen Begegnung mit der jungen sibirischen Frau Anastasia, die übernatürliche Kräfte besitzt und etwa mit Tieren sprechen kann. Sie zeigt ihm den Weg von der verkommenen modernen Gesellschaft zurück zu einem Leben im Einklang mit der Natur. Das erste Anastasia-Buch erschien 1996. Heute gilt Vladimir Megre als literarischer Popstar und die Anastasia-Bewegung als die größte neureligiöse Bewegung Russlands, auch in Deutschland findet sie Anklang. Auf rund 800 Mitglieder schätzen Journalist:innen die sektenähnliche Gruppe in unserem Nachbarland, es bestehen rund zwanzig sogenannte Familienlandsitze, auf denen Vater, Mutter, Kind selbstversorgt und naturverbunden nach Anastasias Lehren leben. Einige davon auch als größere Siedlungen, typischerweise am Rand kleiner ländlicher Gemeinden.
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Die Anhänger der Bewegung wirken zwar auf den ersten Blick wie harmlose Aussteiger oder Biobauern von nebenan. Der deutsche Verfassungsschutz stuft sie allerdings als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Der Stoff in Megres Büchern erinnert vordergründig an Fantasy-Romane, darin eingewebt sind jedoch antisemitische Verschwörungserzählungen. Die Priesterkaste des jüdischen Stamms der Leviten beherrsche heimlich die Welt, Juden seien selbst schuld an ihrer Verfolgung und der Shoah, steht etwa im sechsten Band. Dieses Weltbild bietet viele Fäden, die die Anastasia-Bewegung am Saum des Rechtsextremismus anknüpfen lässt. Ganz konkrete Überschneidungen finden sich etwa zu völkischen Siedlern.
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Nach der ›Blut und Boden‹-Ideologie seien Völker durch ihr Blut verbunden und könnten ein ›artgerechtes Leben‹ nur auf dem für sie vorgesehenen Gebiet verbringen. Für Angehörige anderer Völker ist dort kein Platz. Auch Anastasia gehöre laut Megre einem Urvolk an, das weiß und anderen überlegen sei. In der völkischen Denke nennt sich das Konzept der Anastasia-Familienlandsitze ›Zurück zur Scholle‹. Die Kernfamilie soll raus aus den Städten, auf ein für sie bestimmtes Stück Land ziehen und dieses auf einem Hof bewirtschaften. Die Moderne wird abgelehnt und das Bauernleben vor der Industrialisierung romantisiert. Damit einher gehen sehr veraltete Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Die Grenzen zwischen den Bewegungen sind schwammig und vom völkischen Milieu bis zum organisierten Rechtsextremismus ist es nicht mehr weit. In Deutschland ist die Vermischung der Szene mit Reichsbürger:innen, Holocaustleugner:innen und Neonazis gut dokumentiert.
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Am Kaiser-Josefs-Platz findet einer der größten Bauernmärkte in Graz statt. Hier gehen auch unter der Woche bis 12 Uhr regionale Lebensmittel über den Tisch. Foto: Paul Koren
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Hierzulande ist die Anastasia-Bewegung spätestens 2012 angekommen. Während der Pandemie hat die rechtsesoterische Gruppe vermehrt Zulauf bekommen. Zu Hochzeiten hatte der Telegram-Kanal ›Gründung Familienlandsitz-Siedlung nach Anastasia – Österreich‹ über tausend Mitglieder verteilt in allen Bundesländern. Vereinzelte Höfe sind schon länger bekannt, etwa das ›Anastasialand‹ in Oberösterreich. Laut der steirischen Extremismuspräventionsstelle ›next: no to extremism‹ gab es jedoch auch in jüngerer Vergangenheit mehrere Hofkäufe in Zusammenhang mit der Anastasia-Bewegung in der Obersteiermark. Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden wollten sich dazu aber nicht äußern.
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In Österreich ist Anastasia schwer zu fassen, 2019 wurde die Bewegung noch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) beobachtet. Aktuell weiß niemand, wie viele Mitglieder sie hat. In der Vergangenheit las man bei österreichischen Medien zwar von 800 Mitgliedern, dabei handelt es sich aber höchstwahrscheinlich um die Schätzung für die deutsche Szene, die versehentlich übernommen wurde. Die Direktion Staatsschutz- und Nachrichtendienst, die Nachfolgeorganisation des BVT, wollte die Zahl auf Anfrage jedenfalls nicht bestätigen, zu konkreten Organisationen äußere man sich nicht. Die tatsächliche Zahl dürfte wohl weit unter 800 liegen. Warum ist Anastasia in Österreich so ein blinder Fleck?
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›Wir haben es oft mit hierarchischen Gruppen zu tun, die einen Anführer-Guru haben‹, sagt Felix Lippe von der österreichischen Bundestelle für Sektenfragen, ›Die Anastasia-Bewegung funktioniert anders.‹ Einzelne Gruppen, die sich auf die Buchreihe beziehen, vernetzen sich zwar auf Veranstaltungen und online über Telegram. Aber da keine feste Struktur existiere, sei die Anzahl der Anhänger schwierig nachzuvollziehen, erklärt Lippe. Generell sei die Szene divers und nicht jede:r Anastasia-Begeisterte:r automatisch Antisemit:in. Doch man müsse davon ausgehen, dass die Anhänger:innen auch die problematischen Passagen in den Büchern gelesen hätten und ihnen zumindest nicht widersprächen. Besorgniserregend seien auch die antidemokratischen Strömungen in der Bewegung. ›Wirft man einen Blick nach Deutschland, ist das schon wirklich gruselig, welche personellen Verstrickungen es da in den organisierten Rechtsextremismus gibt‹, sagt Felix Lippe, ›Und für Österreich wissen wir das halt nicht so richtig.‹
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Auch der Bauernmarkt mitten in Graz erweist sich als Sackgasse, vor allem weil der steirischen Extremismuspräventionsstelle von der FPÖ-ÖVP Landesregierung – wie vielen anderen Sozialorganisationen – mehrere hunderttausend Euro Förderung gestrichen wurde. Die Extremismuspräventionsstelle läuft laut Leiterin Daniela Grabovac deshalb seit 1. Juli im Notbetrieb – ein komplettes Aus ab August könne sie nicht ausschließen. Die Frage nach den rechtsextremen Verbindungen der österreichischen Anastasia-Szene bleibt also unbeantwortet. Hinweise gibt es aber sehr wohl.
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Das Projekt Murtopia etwa bezieht sich auf Megres Buchreihe und hat den Aufbau eines Familienlandsitzes im steirischen Murau zum Ziel. In einer Logoversion ist das ›R‹ in ›Murtopia‹ als Odal-Rune geschrieben, im Nationalsozialismus war sie das Symbol einer SS-Freiwilligen Division und wird heute immer noch in neonazistischen Kreisen verwendet. Ronald Mang, der Kopf hinter Murtopia, war trotz mehrerer Nachfragen nicht zu einer Stellungnahme bereit. Eine weitere Spur führt ins Südburgenland.
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Im kleinen Ort Poppendorf hätte auf gut 54 Hektar der flächenmäßig größte Familienlandsitz der ›Akademie Elysion‹ im deutschsprachigen Raum entstehen sollen. Dessen Initiator Norman Kosin postete auf Facebook antisemitische und verschwörungstheoretische Inhalte, beispielsweise, dass die jüdische Industriellenfamilie Rockefeller die Welt aus dem Schatten heraus regiere. Der Aufbau der Siedlung scheiterte laut Medienberichten vorerst an der Finanzierung. Heute verkauft Kosin selbstgemachte Schokolade, auf der Feier zum einjährigen Bestehen der Manufaktur war auch FPÖ-Nationalratsabgeordneter Michael Gmeindl anwesend. Die Website des Vereins hinter der ›Akademie Elysion‹ kündigt für den Herbst 2025 außerdem Neuigkeiten an.
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Die einzig bisher dokumentierte personelle Verstrickung bestand im Umfeld der Anastasia-Bewegung in Salzburg. In einer LAIS-Schule war ein Gründungsmitglied gleichzeitig Führungsperson des deutschen neonazistischen Jugendbunds Sturmvogel. Lais bedeutet im Gotischen ›ich weiß‹ und basiert auf der Schetinin-Pädagogik, einem Bildungskonzept auf das Vladimir Megre in seinen Büchern immer wieder lobend Bezug nimmt. Der Methode nach bekommen die Schüler Wissen von anderen Schülern gelehrt oder nehmen es durch Einprägen von Schaubildern in sich auf. Grundannahme ist, dass der Mensch von Geburt an bereits alles weiß, dieses Wissen müsse nur freigelegt werden. Das Salzburger Lernprojekt ist inzwischen Geschichte, der Betreiber gab an, er habe vom rechtsextremen Hintergrund seines Gründungsmitglieds nichts gewusst.
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In Deutschland werden völkische Siedler:innen und die Anastasia-Bewegung von der Neuen Rechten jedenfalls gezielt angesprochen. Der Verein ›Ein Prozent e.V.‹ – ihr erinnert euch, das ›Greenpeace für Deutschland‹ – warb für völkische Siedlungsprojekte am Land und unterstützte bei der Finanzierung für den Kauf von Grundstücken, um dort ›patriotische‹ Familien anzusiedeln. Dabei hat diese Initiative einen ökologischen Hintergrund: Die ›Patriot:innen‹ sollen dieses Land selbstversorgend bewirtschaften. Hier werden Bänder zu den beiden sehr diversen Milieus geknüpft. ›Denn eines der Hauptziele der Neuen Rechten ist, Verbindungen aufzubauen‹, sagt Historiker Stefan Rindlisbacher.
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Und das gelingt bereits auch über die Ländergrenzen hinweg - die neurechte Szene pflegt Beziehungen in die rechte Parteienlandschaft, mal offener, mal über ein paar Ecken. Im nächsten und letzten Teil der Recherche führt uns das nach Wien zu einem sonnigen Treffen auf Wolke 21 und einem verregneten Event bei Kerzenschein. Die Fortsetzung erscheint am 31. Juli.
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