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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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An schrecklichen Tagen wie heute hat man natürlich den Impuls, sich mit allem anderen als mit Innenpolitik zu befassen. Aber jetzt einen Kommentar zu Schulen, Sicherheit, psychischer Gesundheit oder sonst etwas aus den Fingern zu saugen, noch bevor die Situation geklärt ist, hilft niemandem. Schauen wir lieber zurück – und ziehen eine kurze Bilanz der ersten hundert Tage schwarz-rot-pink.
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Was soll man dazu sagen? Grundsätzlich einmal, dass es zu früh ist für eine substanzielle Bewertung. Klar könnte man argumentieren, dass es nett ist, einmal einen Kanzler zu haben, der offenbar ganz zufrieden ist, nicht jeden Sonntag von irgendeiner Titelseite lächeln zu müssen. Oder dass es einen Vizekanzler gibt, der sich sehr rasch und pragmatisch von populistischen Wahlkampf-Slogans entfernt hat. Oder, überhaupt, dass es diese paar Wochen weit harmonischer abgelaufen ist als die neue Dreierform das hätte erwarten lassen.
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Aber ist das tatsächlich die Essenz dessen, wonach man eine Regierungskoalition beurteilen sollte? Ich finde ja nicht. Am Ende der Legislaturperiode wird es darauf ankommen, ob sie ihren Beitrag dazu geleistet hat, Österreich nachhaltig ein Stück freier, sicherer und reicher gemacht zu haben – oder ob sie ihre „fifteen minutes of fame“ verpasst und trotz der Macht, mit der wir Bürgerinnen und Bürger sie ausgestattet haben, keine substanziellen Reformen auf den Weg gebracht hat.
Was man sagen kann: Es sind bisher keine großen Fehltritte passiert, die dieses Ziel gefährden würden. Das größte politische Stück der Koalition, das Budget, das der Nationalrat voraussichtlich kommende Woche beschließen wird, ist ein vernünftiges Fundament – aber auch nicht viel mehr. Die großen „low hanging fruits“ wie die Streichung des Klimabonus oder die Einverleibung des dritten Progressionsdrittels hat man jetzt geerntet – und auch, wenn man im Detail einiges kritisieren kann (etwa die Streichung der Förderung und die Höherbesteuerung von E-Autos), geht da einiges in die richtige Richtung.
Das lässt sich auch über die Ankündigungen der vergangenen Wochen sagen: Die Kommission der Verteidigungsministerin zum Beispiel, die den Boden für eine Verlängerung der Wehrpflicht aufbereiten könnte; das Versprechen, die wichtigen Stromgesetze ElWG und EABG nach jahrelanger Verzögerung endlich beschließen zu wollen; die neue außenpolitische Ambition von der Einladung des ukrainischen Präsidenten Zelensky bis zum Streben nach einem Sicherheitsrat-Sitz; und zuletzt die gemeinsame Ankündigung mit Ländern und Gemeinden, Kompetenzverteilung und Verwaltung straffen zu wollen. Alles wichtig, alles einigermaßen dringend.
Nur: Gute Ideen gab es schon viele in den vergangenen Jahren, und das Papier eines Koalitionsabkommens ist sehr, sehr geduldig. Zu viele der avisierten Reformen sind auf halber Strecke qualvoll verendet; denken wir zum Beispiel an die halbgare Krankenkassen-Zusammenlegung (die die wirklichen Tabus ausgelassen hat), das Erneuerbare Wärme-Gesetz (das dann doch ohne eine maßvolle Umbaupflicht für Gasheizungsbesitzer ausgekommen ist) oder das Klimagesetz (das es schlicht bis heute nicht gibt).
Möglicherweise haben wir Bürgerinnen und Bürger durch die vielen Krisen, Notmaßnahmen, polarisierenden und heroischen Ankündigungen („Gamechanger“) der vergangenen zehn Jahre so ein Bedürfnis nach fader Politik, dass es uns schon wie gutes Regieren vorkommt, wenn da einmal ganz ruhig in Sitzungen vor sich hinarbeitet.
Das mag eh entspannend sein, aber „the proof of the pudding is in the eating“, wie der Brite sagt – und genau so sollten wir die Arbeit der Koalitionäre sehen. Wenn sie das schaffen, was sie sich in den vergangenen Wochen vorgenommen haben, gratuliere, dann wird Österreich am Ende ihrer fünf Jahre ein Stück weitergekommen sein. Aber der härteste Teil, das Umsetzen, der kommt erst noch.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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