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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Sebastian Kurz ist also unschuldig. Drei Richter am Oberlandesgericht Wien haben den Ex-Kanzler gestern, Montag, freigesprochen, gegenüber einem Untersuchungsausschuss des Parlaments gelogen zu haben, als er im Juni 2020 erklärte, dass er zwar informiert, aber nicht involviert gewesen sei in der Frage, wen die Republik in die Staatsholding ÖBAG entsenden solle. Rechtskräftig schuldig in einer ähnlichen Angelegenheit ist dagegen Kurz‘ damaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli.
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Die Reaktionen auf den Freispruch waren keine Überraschung: Im Team Kurz und der ÖVP (was dasselbe sein kann, aber nicht muss) hat man es natürlich immer schon gewusst – begleitet wurde das vom Geraune gegen „Politjustiz“ und eine blamable Niederlage der WKStA. Auf der anderen Seite zeigen sich Kurz‘ Gegner nicht nur über das Urteil enttäuscht, sie sorgen sich auch um die U-Ausschüsse im Allgemeinen und im Besonderen darum, dass sie künftig weniger ergiebig werden könnten, weil ja jetzt jemand trotz einer ins Nichtssagende mäandernden Antwort freigesprochen worden sei. Ich persönlich habe große Zweifel, ob sich aus diesem Urteil tatsächlich große Erkenntnisse in die eine oder andere Richtung ableiten lassen.
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Bleiben wir zunächst bei der Staatsanwaltschaft: Für die „roten Netzwerke“, von denen die Kurz-ÖVP einst gesprochen hatte, hat sich bis heute kein Beleg gefunden. Klar, in einer perfekten Welt würden Staatsanwälte nur jene Sachverhalte anklagen, die dann tatsächlich auch zu Verurteilungen führen – aber erstens bräuchte es dann keine Richter mehr, und zweitens gibt es gerade in relativ komplexen Themen wie der Frage nach der Wahrheit im U-Ausschuss einen gewissen Spielraum, eine Grauzone, zu der es wenig eindeutige Judikatur gibt. Sebastian Kurz ist nach der Verurteilung in erster Instanz erst vom OLG-Senat freigesprochen worden; sein Mitangeklagter ist auch dort rechtskräftig verurteilt worden, der WKStA kann man in dieser Sache also wenig vorwerfen.
Dasselbe gilt auf der anderen Seite auch für Kurz und sein Auftreten im U-Ausschuss: In einer perfekten Welt würden Politiker dort alle Fragen klar und ohne jede Ambiguität beantworten, würden sagen: „Ja, klar habe ich da mitgesprochen, auch wenn die Entscheidung formal beim Finanzminister liegt – ich bin immerhin Parteichef und Bundeskanzler.“ Nur gibt es diese Perfektion genauso wenig, weil Politiker auf dem heißen Stuhl nicht nur die rechtlichen Grenzen beachten müssen, sondern eben auch die politische Wirkung von dem, was sie sagen. Das zu verbieten oder noch weiter einzuschränken, würde dem Wesenskern der U-Ausschüsse entgegenlaufen: Dort geht es um politische Verantwortung, daher lassen sich politische Erwägungen mit all ihren Grauzonen kaum vermeiden.
Bleibt der letzte Punkt: Dass es für einen Beschuldigten und/oder Angeklagten höchst unangenehm ist, wenn er jahrelang auf den Ausgang seines Verfahrens warten muss. Das ist zwar grundsätzlich richtig, aber ein wenig Augenmaß sollten wir uns auch bei diesem Punkt bewahren: Es ist nicht so, als ob Herr Kurz jetzt ewig unter Mordverdacht gestanden und darob zum sozialen Pariah geworden wäre. Im Gegenteil, wenn ich die Nachrichten der vergangenen Wochen richtig verfolgt habe, hätte ich eher nicht den Eindruck gewonnen, Kurz wäre wirtschaftlich, persönlich oder politisch ruiniert gewesen.
Und auch das ist gut so. Die Strafjustiz in all ihren Ausformungen – Ermittlungen, Anklagen, Urteile – ist ein notwendiges Übel, das die Politik davon abhält, ihre Macht zu missbrauchen oder, in diesem Fall, sich der Kontrolle durch das Parlament zu entziehen. Statt die Ergebnisse zu glorifizieren oder zu verteufeln, Ermittler und Richter je nach Lage zu feiern oder in irgendwelchen Netzwerken zu wähnen, sollten wir – ja, auch und ganz besonders wir Medien – diesen Prozess gleichmütiger, entspannter, unaufgeregter und als das sehen, was er ist: Eine möglichst objektive Suche nach dem, was wirklich passiert ist – und danach, ob es einem Straftatbestand entspricht oder nicht.
Das muss und darf kein Pferderennen sein, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt – weder Angeklagte noch Staatsanwälte. Es ist einfach die institutionelle Art, wie wir Dinge in einem Rechtsstaat regeln. Und sie funktioniert.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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