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  Georg Renner
Liebe Leserinnen, liebe Leser!


Die politischen Reaktionen auf die Absage der Taylor-Swift-Konzerte in Wien sind bisher ziemlich in erwartbaren Bahnen verlaufen. Die übermäßige Migration ist schuld, sagen die einen, Tiktok und das Internet sind schuld, die anderen, und sowieso brauche es mehr Befugnisse für die Behörden.

Tatsache ist – Terrorexperte Peter Neumann hat das in den vergangenen Jahren etliche Male ausgeführt, zB hier –, dass der dschihadistische Extremismus in Europa aktuell wieder auf dem Vormarsch ist: Algorithmen, die schneller als je zuvor in die Abgründe extremistischer „rabbit holes“ führen – besonders, aber nicht nur auf Tiktok – treffen auf orientierungslose Jugendliche – besonders, aber nicht nur in migrantischen Milieus –, die sich dort radikalisieren.
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Man sollte das weder relativieren, noch sich der Illusion hingeben, mit einer einzelnen politischen Maßnahme wäre es getan. Ja, natürlich sind zuallererst der Täter und muslimische Hassprediger schuld. Aber was hilft es, diese Erkenntnis triumphierend herumzuparadieren? Weder rechte „Remigrations“-Fantasien (viel Erfolg bei einem 19-jährigen Österreicher aus Ternitz) noch ein Tiktok-Verbot (das im digitalen Zeitalter bestenfalls eine temporäre Bremse wäre) sind eine angemessene Reaktion auf diese Bedrohung. Denn die wird uns alle leider noch lange beschäftigen – und es wird ein breites Spektrum an Maßnahmen dagegen brauchen. Solche, die die Polizei ermächtigen, auch weitere konkrete Taten zu verhindern genauso wie solche in der Prävention.


Waffengleichheit herstellen
Erstens: Das Innenministerium sollte endlich einen Gesetzesentwurf vorlegen, mit dem es die stärkere Überwachung von Messengerdiensten ermöglichen will. Die Argumente der Chefs der österreichischen Sicherheitsdienste dafür sind ja nachvollziehbar: Die Republik sollte nicht abhängig davon sein, dass ausländische Partner das tun, was wir uns selbst nicht erlauben; zwischen Kriminellen und Polizei sollte zumindest Waffengleichheit möglich sein; und es ist absurd, dass die Behörden zwar Telefonate oder sogar Haushalte im „Großen Lauschangriff“ technisch überwachen kann, aber nicht Messenger.

Aber solange nicht klar ist, was „mehr Möglichkeiten zur Überwachung“ genau bedeutet, ist eine Diskussion darüber sinnlos: Was schwebt den Staatschützern technisch konkret vor? Geht es um einen Staatstrojaner für alle Smartphones? Wie schützt man die Bürger dann vor Missbrauch durch Kriminelle und vor Willkür der Behörden? Welche Rechtsschutz- und Informationsinstrumente soll es geben? Das sind komplexe Fragen, die – auch wenn man grundsätzlich anerkennt, dass die Behörden mehr Möglichkeiten brauchen – öffentlich diskutiert werden sollten und nicht in koalitionären Hinterzimmern oder über substanzlose Aussendungen.

Perspektiven schaffen
Zweitens sollte die Politik darangehen, ein auf allen Ebenen – Schulen, Gemeinden, Länder, Sicherheitsbehörden, Islam-Vertreter, NGOs usw. – gebündeltes Präventionspaket zu schnüren. Das wird viel Aufwand sein, vor allem die Vernetzung der Expertise in diesem Bereich – aber langfristig wird sich, besonders in Zeiten schwächelnder Wirtschaft, die Frage stellen, wie man Jugendliche erreichen und welche Perspektiven man jenen geben kann, die Gefahr laufen, extremistischen Rattenfängern auf den Leim zu gehen. Das gilt ganz besonders für die Co-Insassen von Dschihadisten im Gefängnis: Lorenz K., ein weiterer Austro-Islamist, wurde gerade erst zu weiterer Haft verurteilt, weil er andere für den Dschihad rekrutieren wollte. 

Am schwierigsten wird es, drittens, den schädlichen Einfluss von Hasspredigern und Terroristen im digitalen Raum zurückzudrängen. Die Entscheidung, was noch Islam, was Islamismus ist, was Meinungsfreiheit und was schon Verführung zum Extremismus, ist eine Gratwanderung und eine Herausforderung für unsere bürgerlichen Freiheiten – egal, ob sie jetzt der Staat trifft oder ein (moderierender) Internet-Konzern selbst.

Ein erster, behutsamer Schritt zu einer verantwortungsbewussteren Informationsgesellschaft wäre mehr Transparenz – der Vorschlag, Social-Media-Plattformen EU-weit zur Offenlegung ihrer Algorithmen zu zwingen und damit offen zu machen, warum sie wem wann welche Inhalte anzeigen, hat etwas für sich. Um „rabbit holes“ der Radikalisierung zu schließen, wäre es in einem ersten Schritt einmal nötig, sie auszuleuchten – und so zu rekonstruieren, wie der verhinderte Attentäter von Wien auf seinen Irrweg gekommen ist.

Herzlich,
Ihr Georg Renner
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