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  Georg Renner
Liebe Leserinnen, liebe Leser!


Die Republik – oder besser: wir, die Bürgerinnen und Bürger – hat am Sonntag das kleine Kunststück vollbracht, eine Nationalratswahl hinzulegen, die einen Gewinner und sonst nur Verlierer kennt. Ja, ich weiß, die Neos haben auch Stimmanteile dazugewonnen – aber dass ÖVP und SPÖ nun überraschenderweise doch auch eine mit Haaresbreite abgesicherte Koalition bilden könnten, schwächt ihre Verhandlungsposition dann doch beträchtlich.

Zum Wahlergebnis selbst gibt es wenig zu sagen: Mit der FPÖ hat nicht nur die mit Abstand am wenigsten konstruktive Parlamentspartei die Wahl gewonnen, sondern auch jene, deren Pläne – von der Anbiederung an Russland über die „Festung Österreich“ bis zur Verwandlung der Republik in eine Dauerwahlkampfzone – Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in Österreich langfristig am abträglichsten wären. ÖVP und Grüne sind als Regierungsparteien nicht nur im internationalen Trend wie andere Machthaber abgestraft worden, sondern haben auch die Rechnung für die inferiore Arbeit ihrer letzten Koalitionsmonate präsentiert bekommen. Und der SPÖ-Plan, mit retro-linken Slogans Massen zu mobilisieren, ist genau so gescheitert, wie Experten der Partei das seit einem Jahr vorhergesagt haben.

Das gesagt habend: Wir wissen jetzt, wie sich der 24. Nationalrat zusammensetzen wird – und die Herausforderungen, vor denen das Land steht, sind nicht über Nacht verschwunden, also überlassen wir das Wundenlecken den Parteien und schauen nach vorn. 

Unerfreuliche Großwetterlage
Vermutlich wird es jetzt länger dauern, bis wir verbindlich wissen, welche Parteien Österreich bis zum planmäßigen Ende der Legislaturperiode 2029 regieren. Zunächst einmal müssen sich die Parteien auf der Verliererseite dieser Wahl intern sammeln. Dann wird erst einmal eine lange Sondierungsphase folgen, in der sich alle potenziellen Koalitionspartner gegenseitig abtasten, um inhaltliche, atmosphärische und personelle Grenzen auszuloten. Dann werden sich zwei oder drei davon zu Koalitionsverhandlungen zusammenfinden und am Ende, hoffentlich, mit einem präsentablen Programm und Personalplan für die nächsten Jahre vortreten – innerhalb der vom Bundespräsidenten aufgestellten Einflugschneise.
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Zum Vergleich: Die Verhandlungen von ÖVP und Grünen 2019 – auch damals hat die Wahl am 29. September stattgefunden – haben bis Jahreswechsel gedauert. Und aus heutiger Sicht waren sie vergleichsweise einfach: Nicht nur, dass die ÖVP als Wahlsieger und von allen Seiten als regierungsfähig anerkannte Partei gute Karten für die Partnerwahl hatte, auch die politische Umwelt sah damals deutlich sonniger aus: Man kam gerade aus zwei Jahren mit Nulldefizit, die Wirtschaft brummte, Inflation war kein Thema und die Arbeitslosenzahlen waren auf Rekordtiefständen. (Dass am 31. Dezember 2019, kurz vor der Koalitionseinigung, die Meldung „Mysteriöse Lungenkrankheit in Zentralchina ausgebrochen“ durch die Nachrichtenagenturen flatterte, tat der Aufbruchstimmung da noch keinen Abbruch.) 

Heute ist die politische Großwetterlage international, wirtschaftlich und budgetär gesehen wesentlich unfreundlicher. Nach Corona-, Inflations- und anderen Hilfsmaßnahmen sowie einer im Schatten Deutschlands schrumpfenden Wirtschaft wird schon allein der finanzielle Spielraum der neuen Regierung kleiner sein als der der vorangegangenen. Dazu kommen nötige Investitionen in einer Vielzahl von Sektoren – Verteidigung, ökologische Transformation, Bildung, um nur eine Handvoll zu nennen – und eine Reihe offen gebliebene, dringend benötigte Reformen, zum Beispiel im Energie-, Strafverfolgungs- und Medienbereich. 


Naiv? Vielleicht.
Wir haben also zwei parallele Herausforderungen vor uns: einerseits einen langen Weg zur Koalitionsfindung – sinnvollerweise, denn egal, wer Österreich die nächsten Jahre regieren wird: er wird einen guten, von allen mitgetragenen Plan brauchen; es wäre gut, sich dafür Zeit zu nehmen. Und andererseits eine Reihe dringender Reformen. 


Die Parteien wären gut beraten, wenn sie in den nächsten Wochen aus der Not eine Tugend machen – und auch ohne fixe Koalition versuchen, einige dieser Probleme im Parlament zu lösen. In vielen dieser Punkte gibt es ja einen grundlegenden Konsens aller Fraktionen, dass etwas zu tun ist. Das betrifft die technischen Gesetze für die Energiewende – das Elektrizitätswirtschafts- und Erneuerbare-Gas-Gesetz etwa – genauso wie die Neuregelung von Handy-Abnahme und Messenger-Überwachung oder die Besetzung des ORF-Stiftungsrates.


Ja, eine solche lockere, konstruktive Zusammenarbeit hat in Österreich über Schnellschüsse während der koalitionsfreien Zeit hinaus (üblicherweise wenig nachhaltige Geldverteil-Aktionen) keine Tradition. Aber in den nächsten Wochen könnte sich ein Fenster dafür auftun – und vielleicht sogar dafür, die Staatsfinanzen wenn schon nicht auf Nulldefizitkurs, dann zumindest auf nachhaltigere Beine zu stellen. 


Bald nach Konstituierung des neuen Nationalrats wird sich Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) als EU-Kommissar Richtung Brüssel verabschieden. Bundeskanzler Karl Nehammer und Bundespräsident Alexander Van der Bellen sollten das als Chance nutzen, eine anerkannte Persönlichkeit aus Ökonomie und/oder Verwaltung in die Himmelpfortgasse zu schicken – mit dem Auftrag, dem noch nicht koalitionsgebundenen Nationalrat schnellstens ein gesünderes Budget vorzulegen, mit Einsparungen, wo sie sachlich gerechtfertigt sind. 


Entscheiden würden dann die 183 Abgeordneten, die wir gestern gewählt haben – aber vielleicht lässt sich darüber ein Konsens finden, dass nachhaltige Staatsfinanzen die Grundlage aller Reformen sind, die sich die Parteien in den nächsten Jahren vorstellen. Ein Konsens, wie es ihn beispielsweise in den nordischen Staaten längst gibt. 


Vielleicht ist das naiv, weil Parteien außerhalb einer Koalition nicht bereit sind, einander Erfolge zu gönnen, die nicht „ihrer“ Regierung nutzen. Aber es wäre nach dieser Wahl Zeit für ein erfreulicheres Kunststück: Die koalitionsfreie Zeit muss keine verschwendete sein.


Herzlich,
Ihr Georg Renner

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