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  Georg Renner
Liebe Leserinnen, liebe Leser!


An sich bin ich im DATUM-Leitfaden ja bemüht, mich von Parteipolitik fern- und mich eher in der wohligen Wärme der nüchternen Sachpolitik aufzuhalten. Aber Ende dieser Woche ist da nun einmal diese Wahl, und in solchen Wochen werden wir Innenpolitik-Leute immer ein bisschen preachy. (Also: noch mehr als sonst ohnehin schon.) Also reden wir übers Wählen, oder besser: über den Unsinn des taktischen Wählens.

Vor ein paar Tagen bin ich gefragt worden, wen man wählen sollte, wenn man verhindern möchte, dass die FPÖ an die Macht kommt. Das ist ein Wahlmotiv wie jedes andere auch, also bin ich in Ipo-Erklärbärmodus gegangen und habe, sinngemäß, das Folgende heruntergerattert: 

Die einzige realistische Möglichkeit, wie die FPÖ aktuell in eine Regierung kommen könnte, ist in einer Koalition mit der ÖVP. Die ÖVP wird aber – trotz großer inhaltlicher Übereinstimmung mit den Freiheitlichen – einerseits aus Machtgründen, andererseits wegen manifester Antipathie etlicher handelnder Akteure untereinander, lieber versuchen, weiter den Bundeskanzler zu stellen, als unter FP-Chef Herbert Kickl Vize zu sein. Und die FPÖ wird nicht bereit sein, als Preis für eine Koalition ihren „Volkskanzler“ zu opfern, wenn sie am Sonntag stärkste Partei wird.

Fernhalten von der Macht
Daraus folgt: Wenn die FPÖ – worauf alle Umfragen hindeuten – auf dem ersten Platz landet und die ÖVP auf dem zweiten, wird letztere eher versuchen, eine Koalition an den Freiheitlichen vorbei zu bilden, am wahrscheinlichsten in den Farben türkis-rot-pink. Gelingt ihr das, bleibt Karl Nehammer Kanzler und Herbert Kickl in Opposition.
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Wird die ÖVP aber doch erste – was nicht wahrscheinlich, in der Schwankungsbreite aber durchaus möglich ist – wird sie sehr wahrscheinlich versuchen, mit der FPÖ eine Regierung zu bilden; was, wenn Kickl wider Erwarten nicht den Nimbus des Siegers hat, durchaus möglich scheint. In dem Fall hätte die FPÖ zwar beim Wähler schlechter abgeschnitten, aber durch eine Regierungsbeteiligung mehr faktische Macht, als wenn sie nach einem Wahlsieg mangels eines Koalitionspartners in der Opposition bleibt. 

Daraus folgt: Die effektivste Art für einen Wähler, die FPÖ von der Macht fernzuhalten, wäre, für die FPÖ zu stimmen. 

Das ist, natürlich, hochgradig absurd.

Krisenfest wählen
Es zeigt aber auch schön, warum es in Österreich schlicht nicht sinnvoll ist, taktisch zu wählen: Alles, was ich gerade erzählt habe, ist sachlich richtig – aber nur, wenn man einige Dinge voraussetzt. Wenn man, erstens, davon ausgeht, dass man den Ansagen der Parteien trauen kann, mit wem sie (nicht) arbeiten wollen. Wenn, zweitens, die Umfragen stimmen, die diese Situation ermöglichen. Und wenn, drittens, nicht alle anderen 6,4 Millionen Wahlberechtigten ganz genauso „taktisch“ wählen.

Denn würden alle ihre Wahlentscheidung so treffen wie gerade ausgeführt, hätte die FPÖ hundert Prozent der Stimmen – was nicht im Sinn des Erfinders wäre. 

Also, meine Wahlempfehlung: Wählen Sie nicht, um jemanden zu verhindern oder eine bestimmte Koalition an der Macht zu sehen – solche Garantien gibt es in unserem repräsentativen System nicht und kann es nicht geben. Wählen Sie lieber jene Partei, deren Programm sich am ehesten mit Ihren Prioritäten deckt – auch, wenn es manchmal nicht den Eindruck macht: Parteien tendieren dazu, in der Regierung das zu tun, was sie davor versprochen haben. 

Und vor allem, wenn wir auf die vergangenen zehn Jahre mit ihren Krisen zurückblicken: Wählen Sie eine Partei, deren Spitzenpersonal Sie im Pilotensessel sehen wollen, wenn es wieder turbulent werden sollte. Intensiver werdende Naturkatastrophen, Blackouts, eine neue Pandemie, Verwerfungen im Fall eines Taiwan-Krieges, weitere Eskalation in Osteuropa: Ohne Panik stiften zu wollen, all das könnte uns in den nächsten Jahren ins Haus stehen – zusätzlich zu Kleinigkeiten wie Klimawandel, der demographischen Krise, einer schwächelnden Wirtschaft und leeren Staatskassen. 

Wählen wir jemanden, der uns rational, entschlossen und im Einklang mit den Institutionen unserer Republik durch solche Krisen führen kann.

Herzlich,
Ihr Georg Renner


PS: Ich habe mir schon länger dieses Zitat des US-Late-Night-Meisters Jon Stewart aufgehoben, das ich Ihnen für diesen und alle Wahltage mitgeben möchte. „It's all going to make you feel like November 5th is the only day that matters. And it does matter, but, man, November 6th ain't nothing to sneeze at. If your guy loses, bad things might happen. But the country is not over. And if your guy wins, the country is in no way saved.“
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