|
|
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Wenn Sie im gerade erschienen DATUM* nur eine Geschichte lesen (neben meinem Text darüber, dass Wahlkämpfe meistens keinen großen Unterschied mehr machen, natürlich), möchte ich Ihnen die Reportage „Löcher im Netz“ von Kollege Paul Koren ans Herz legen. Ganz besonders, wenn Sie (anders als ich) in der Stadt leben und Ihnen (genau wie mir) Raumordnungsfragen regelmäßig den Schlaf rauben.
Koren hat sich auf den Weg gemacht, per öffentlichem Verkehr Fendels zu erreichen, eine der acht nach Definition der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) verkehrstechnisch am schlechtesten erschlossenen Gemeinden der Republik. Für Nicht-Autofahrer hängt der Anschluss von Fendels zwar nicht am seidenen Faden, aber am stählernen Seil: Sobald bei der örtlichen Gondelbahn – ja, es geht um Tirol, warum fragen Sie? – um 16:45 letzte Bergfahrt ist, bleibt einem nur noch eine längere Bergwanderung, um dort hin- oder wegzukommen.
Jetzt ist der Weg nach Fendels ehrlicherweise nicht primär eine bundespolitische Frage. Aber die Frage, wie es die nächste Regierung mit Öffentlichem und Individualverkehr, mit Bodenverbrauch und Siedlungspolitik halten wird, sehr wohl – auch wenn das, der Verfassung nach, Ländersachen sind.
|
|
|
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren. Er erscheint jeden Dienstag Nachmittag.
|
|
Wie es der Zufall will, hatte ich vor ein paar Tagen das Vergnügen, auf dem „Bürgermeistertag“ des Gemeindebundes – der Vertretung von 2.082 der 2.093 Gemeinden in Österreich (alle außer den größten Städten) – über Bodenverbrauch zu sprechen und mit Experten zu diskutieren**. Ich finde es erfreulich, dass der Gemeindebund dieses Thema bei einer wichtigen Jahrestagung auf die Agenda gesetzt hat – das müsste er nicht, und es ist ein Signal, dass sich im Bewusstsein etwas tut.
Aber reicht das?
Keine Bodenstrategie, viele strategische Fragen
Zur Erinnerung: Eine im türkis-grünen Regierungsprogramm vereinbarte bundesweite „Bodenstrategie“ mit dem Ziel, nicht mehr als 2,5 Hektar pro Tag in Anspruch zu nehmen, gibt es bis heute nicht. Stattdessen haben sich Länder und Gemeinden auf eine eigene Bodenstrategie geeinigt, ohne konkrete Ziele, aber immerhin mit einer Fülle von Werkzeugen, wie sie die Platzverwendung in Österreich künftig begrenzen wollen. Außerdem hat die ÖROK gemeinsam mit dem Umweltbundesamt eine einheitliche Definition zur Flächenverwendung erarbeitet, wodurch es erstmals verbindliche Daten geben soll.
Das ist alles gut und schön – aber die nächste Regierungskoalition im Bund sollte sich trotzdem des Themas annehmen. Denn, ob man das unter dem Titel „Ländlicher Raum“, „Verkehrswende“, „Flächenverbrauch“ oder sonstigen betrachtet: Viele Ziele, zu denen Österreich europa- und völkerrechtlich verpflichtet ist, hängen daran, wie wir mit dem verbliebenen Platz in unserem Land umgehen – und wie wir uns in ihm bewegen.
Das betrifft die Klima- und Renaturierungsziele genauso wie die Frage der strategischen Ernährungssicherheit: Wo eine neue Einfamilienhaussiedlung, ein neues Betriebsgebiet oder eine neue Autobahn entsteht, fallen dafür in aller Regel Felder weg; das wird sich mittelfristig mit der Eigenversorgung mit Lebensmitteln nicht mehr ausgehen.
Boden, Verkehr, Wohnen
Wer auch immer sich nach der Wahl zu Regierungsverhandlungen zusammenfindet, sollte ein gesamthaftes Bild entwickeln, wie der Bund – gemeinsam mit Ländern und Gemeinden - mit diesen Raumfragen umgehen will. Das wird nicht nur nötig sein, um die erwähnten Zielsetzungen zu erreichen – sondern auch, um zu priorisieren, wo der Staat trotz Budgetlochs investieren soll.
Das betrifft zum Beispiel die Wohnbauförderung: Soll der Bund, wenn er ein weiteres Hilfspaket für die Bau- und Wohnwirtschaft schnürt, weg vom Einfamilienhaus steuern? Gemeindebund-Präsident Johann Pressl hat etwa angeregt, einen finanziellen Bonus auszuloben, wenn eine Jungfamilie statt in einen Neubau zu den Eltern in einen Haushalt zieht.
Oder, um nach Tirol zurückzukommen: Es geht auch um den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Soll Steuergeld fließen, um Orte wie Fendels an ein öffentliches Verkehrsnetz anzuschließen? Oder wäre es nicht sinnvoller, den öffentlichen Verkehr vor allem dort auszubauen, wo man am ehesten Menschen dazu bringen wird, auf ihr Auto zu verzichten: im dicht besiedelten Raum? Und was heißt das für das Pendlerpauschale und andere Förderungen?
All das sind Fragen, die sich für den Wahlkampf nur bedingt eignen. Aber die potenziellen Regierungspartner sollten sie sich stellen – und idealerweise Antworten aus einem Guss geben.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
*Sie sollten dringend ein Abo nehmen, um 63 Euro pro Jahr eine echte Okkasion. Die aktuelle Ausgabe – wenn Sie vor 15. bestellen, beginnt Ihr Abo noch mit ihr – kommt mit einem exzellenten Gimmick: dem Poster „Das politische System Österreichs“ meines Ex-Kollegen Moritz Moser, das in jedem Haushalt hängen sollte.
**Zur Offenlegung: Der Gemeindebund hat mich für meinen Vortrag bezahlt.
|
|
|
© Satzbau Verlags GmbH
|
|
|
|