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Am Wochenende war Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmansdorfer dran: Im ö1-Journal am Samstag hat er Teilzeitarbeit als „zu attraktiv“ bezeichnet – und angekündigt, dass er mangels Verständnis etwas dagegen unternehmen wolle, „wenn gesunde Menschen ohne Betreuungspflichten lediglich in Teilzeit arbeiten“. (Mittlerweile hat er den schönen Begriff „Lifestyle-Teilzeit“ nachgeschossen.) Was er sich darunter konkret vorstellt, lässt er allerdings offen. Wie im Kino eben: Der Bösewicht wird angeteasert, doch wie ihn die Helden (hoffentlich) besiegen, bleibt dem Film überlassen.
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Das ist ein spannendes Thema – weil es unsere Gesellschaft vor eine enorme Herausforderung stellt, aber politisch überhaupt nicht einfach lösbar ist. Recht unstrittig ist die Bestandsaufnahme: Teilzeit boomt in Österreich seit Jahren. 2010 war jeder vierte Job ein Teilzeitjob, heute ist es fast jeder Dritte. Und während die Zahl der Erwerbstätigen dank Zuwanderung auf einem Allzeithoch steht, sinkt die Zahl der Arbeitsstunden dieser Erwerbstätigen seit Jahrzehnten: Männer haben 2004 im Schnitt noch 43,9 Stunden gearbeitet, Frauen 34,4 – zuletzt lagen diese Werte bei 39,1 bzw. 31,5 Stunden in der Woche. 

In einem Staat, der sich – wie die meisten Industrieländer – weitgehend über Abgaben aus Arbeitsleistung finanziert, ist das eine Herausforderung: Wenn weniger Stunden gearbeitet werden und gleichzeitig die Produktivität dieser Arbeit stagniert, schaut es für die Staatskasse düster aus. Und das umso mehr, wenn über solche Abgaben ein teures Pensionssystem finanziert wird, in das gerade die stärksten Arbeitskräftegenerationen der Geschichte eintreten, von denen viele noch Vollzeit gearbeitet haben und die jetzt von den Vollzahlern zu den Vollbeziehern wechseln. 

Ironischerweise könnten die Teilzeitkräfte von heute das System langfristig wieder entlasten, weil sie weniger Ansprüche erwerben. Das hilft aber in einem Umlageverfahren herzlich wenig, weil sie ja die Pensionistinnen und Pensionisten von heute erhalten müssen.

Die Suche nach den Ursachen für die Teilzeitwelle ist ein politischer Rorschachtest. Ohne besondere Reihung kann man das zum Beispiel wahlweise zurückführen auf:

  • Die neue Freizeit- gegenüber der alten Leistungskultur
  • Gestiegene Möglichkeiten in einer reichen Gesellschaft: Vermögen und Wohnraum werden vererbt und müssen nicht mehr erarbeitet werden
  • Hohe Steuern auf Erwerbsarbeit, die Vermögensaufbau durch Arbeit einschränken
  • Gestiegene Erwartungen an Eltern
  • Mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten
  • Steigender Druck im Arbeitsleben
  • Unternehmen, die lieber Teilzeit- als Vollzeitstellen ausschreiben
  • Die Progression der KV-Gehälter, die ältere Arbeitnehmer so teuer macht, dass Unternehmen sie sich bestenfalls noch in (geförderter) Teilzeit leisten können
  • Sozialbetrug

Diese Liste zeigt, es ist ein komplexes Thema – und die Datenlage ist keine große Hilfe. Wir wissen aus dem Mikrozensus der Statistik Austria, dass es beispielsweise nicht nur an mangelnder Kinderbetreuung liegt, und auch nicht nur an der mangelnden Verfügbarkeit von Vollzeitstellen, aber eben schon ein bisschen. Die eine große Ursache scheint es nicht zu geben, so würde ich die Daten lesen

Was heißt das für die Politik? Wenn sie den Trend zur Teilzeitarbeit zurückdrängen will – und das ist ein großes Wenn, immerhin findet einer der aktuellen Koalitionspartner kürzere Arbeitszeit ja durchaus attraktiv –, wird es eine Fülle von Maßnahmen brauchen. 

Eine simple „Strafsteuer“ für Teilzeitkräfte oder, umgekehrt, einen Bonus für Vollzeitarbeiter scheint mir nur schwer umsetzbar: Wenn man, wie Hattmansdorfer das formuliert, nur jene erwischen will, die „freiwillig“ Teilzeit arbeiten, würde der Staat bei so einer Maßnahme tief ins Privatleben und das Familienverständnis von Menschen hineinschnüffeln müssen. Sie arbeiten Teilzeit, weil Sie finden, dass Ihr Kind besondere Bedürfnisse hat, die der Nachmittagskindergarten nicht abdeckt? Sie wollen ihr Kind beim Lernen unterstützen, statt es in einen Nachhilfekurs zu schicken? Sie engagieren sich ehrenamtlich in zwei Vereinen und verzichten dafür auf ein paar Stunden Arbeit?

Als eher konservativ veranlagter Mensch teile ich ja die Abneigung gegen die Jungen, die lieber Party machen, statt das Bruttosozialprodukt zu steigern, voll und ganz. Aber ich bin gespannt, wie man die Feststellung dieser „Freiwilligen Teilzeit“ in einen verwaltungsrechtlich einwandfreien Prozess gießt. Ich habe große Zweifel, dass das so einfach gehen wird.

Die gute Nachricht: Es gibt eine Menge Schrauben, an denen die Republik jetzt schon drehen kann – und die Koalition tut das tatsächlich auch. Die weitgehende Abschaffung des geringfügigen Zuverdiensts für Arbeitslose zum Beispiel, die mit dem Budgetbegleitgesetz beschlossen worden ist – das hatten Experten für Hattmansdorfers Vorgänger Martin Kocher als eine besonders vielversprechende Maßnahme ausgemacht, eine „Inaktivitätsfalle“ zu entschärfen. 

Oder die ebenfalls erst kürzlich beschlossene verpflichtende Meldung des Arbeitsausmaßes bei der Neuanstellung von Arbeitskräften: Das mag auf den ersten Blick wie eine neue bürokratische Schikane wirken, ist aber Voraussetzung für eine ganze Reihe von Maßnahmen (steuerliche Boni, Kampf gegen Sozialbetrug usw.).

Gut möglich, dass man diese kleinen Schritte schon kommendes Jahr in der Statistik sieht. Das ist vielleicht nicht die große Heldenerzählung, die uns jetzt gerade angeteasert wird – aber das ist gute Politik selten. Muss sie aber auch nicht sein, wenn sie trotzdem zum Happy End führt.

Herzlich,
Ihr Georg Renner

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