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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Ich bin tendenziell dafür, dass die Republik die Lobau-Autobahn baut – und zwar aus folgenden Gründen.
Vor etwa 16 Jahren habe ich für die „Presse“ ein langes Porträt der Brünner Straße geschrieben; die B7, die vom Floridsdorfer Spitz durch etliche Weinviertler Gemeinden bis an die tschechische Grenze verläuft. Sie war, der tausenden Pendlerinnen und Pendler nach Wien und ebenso vieler Schwertransporter wegen, eine asphaltgewordene Schlucht, die Ortschaften über Jahrzehnte entzweigeschlagen hat.
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Heute sind diese Orte kaum mehr wiederzuerkennen – nicht komplett zusammengewachsen, die Straße ist noch immer da, aber durchwegs ruhiger, sauberer, ja: lebenswerter. Warum? Weil ein Großteil des Durchzugsverkehrs auf die neue Straße ein paar hundert Meter weiter ausgewichen ist, die Nordautobahn A 5.
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An diesen Vorher-nachher-Vergleich muss ich immer wieder denken, wenn ich das gebetsmühlenartige „Neue Straßen schaffen neuen Verkehr“ höre, das längst auch zum Refrain der Diskussion um die Lobau-Autobahn geworden ist. Was die Verkehrswissenschaftler sagen, stimmt sicher: Je schneller und kommoder man mit dem Auto wohin kommt, desto attraktiver ist es natürlich, sich eines zuzulegen – und in Summe sind an B7 und A5 heute sicher mehr Kraftwagen unterwegs als noch vor 16 Jahren an der Brünner Straße alleine.
Aber das nur negativ zu sehen und wegen dieses Zuwachses gegen neue Straßen zu sein, lässt eben auch den Gewinn an Lebensqualität außer Acht, den die Menschen in den Ortschaften an der B7 und zigtausende Pendlerinnen und Pendler dadurch gewonnen haben, dass die Autobahn einen großen Teil dieses Verkehrs aufgenommen hat.
Nein, die Südosttangente würde mit dem S1-Lückenschluss mutmaßlich nicht über Nacht vom Stau-Hotspot Mitteleuropas zur Wiener High Line werden – aber beträchtlich entlastet würde sie allen Prognosen zufolge, genau wie andere überlastete Achsen wie die Erzherzog-Johann-Straße jenseits der Donau auch. Das jahrzehntealte Projekt eines Schnellstraßenrings um Wien (zu dem neben der noch unvollendeten S1 ja auch die S5, die S33, die A21 und die A22 gehören) wäre ein Gewinn nicht nur für die Wienerinnen und Wiener – sondern vor allem auch für jene, die an der Stadt vorbeifahren wollen.
Daran ändert die Klimakrise nichts. Denn auch die E-Autos, die wir nach Kräften fördern sollten (statt die Emissionsziele der EU herunterzuschrauben, woran besonders die ÖVP gerade arbeitet), werden irgendwo fahren müssen. Und die totale Umstellung auf öffentlichen Verkehr ist, leider, ein Traum von warmen Eislutschern – der Individual- und Schwerverkehr wird auf absehbare Zeit straßengebunden bleiben – dafür sollte der Staat genauso adäquate Infrastruktur schaffen, wie er den öffentlichen Verkehr ausbaut.
Das war der Grund, warum der (damals rot-schwarze) Gesetzgeber die Fertigstellung der S1 ins Bundesstraßengesetz geschrieben hat. Und die Umsetzung solcher langfristigen Projekte sollte in einem demokratischen Staat nicht davon abhängen, wer gerade Verkehrsminister ist. Wem die Projektliste nicht passt, der sollte versuchen, im Parlament eine Mehrheit für eine Änderung aufzustellen – statt mit politischen Taktikspielchen den Bau zu verzögern.
Aber – und deswegen das „tendenziell“ zu Beginn: Es gibt da einige offene Fragen.
Die erste ist eine rechtlich-ökologische: Kann man unter einem Naturschutzgebiet (in dem schon ein gewaltiges Öllager steht) einen Autobahntunnel errichten, ohne es irreparabel und übermäßig zu schädigen? Das ist keine Frage, die man aus dem Bauch heraus beantworten kann und sollte – dafür gibt es Umweltverträglichkeits- und andere Prüfungen. Es ist sinnvoll, dass die Asfinag diesen Verfahrensweg gehen muss, bevor sie den Tunnel bauen kann – sein Ausgang bleibt abzuwarten.
Die andere Frage ist eine politisch-finanzielle: Können wir uns diesen Autobahnbau jetzt leisten? Den Taschenspielertrick „Das zahlt die Asfinag“ sollte man der Regierung nicht durchgehen lassen; tätigt die aus Mautgeldern gut genährte Autobahngesellschaft der Republik die Milliardeninvestition nicht jetzt, sondern später, könnte sie durch Dividenden ein paar Jahre lang zur Budgetsanierung beitragen. Das sollte sich die rote Infrastruktur- und Finanzhälfte der Regierung durchaus überlegen: Ob die Autobahn ein paar Jahre früher oder später in Betrieb geht, wird im Großen und Ganzen kaum einen Unterschied machen – während die Sanierung der Staatsfinanzen und ihr (mangelndes) Tempo Zinszahlungen für Generationen bedeuten würden.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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