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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Am Sonntag bin ich auf dem Weg zu einem Christkindlmarkt unversehens in die spontane Kundgebung mehrerer tausend Syrerinnen und Syrer auf der Wiener Ringstraße gekommen. Egal, wie man dazu steht: Die lautstarken Freudenbekundungen waren jedenfalls eine kräftige Erinnerung daran, dass in Österreich in den vergangenen zehn Jahren eine der auf die Bevölkerung gemessen größten syrischen Exilcommunitys Europas entstanden ist. Zu Jahresbeginn haben fast 86.000 in Syrien geborene Menschen in Österreich gelebt, Anfang 2014 waren es gerade einmal 5.000.
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Diese Vervielfachung binnen weniger Jahre heißt nicht zuletzt, dass uns auch politisch nicht kalt lassen kann, was in dem 22-Millionen-Einwohner-Staat in der Levante gerade passiert. Kein Mensch kann heute sagen, wie es dort in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten weitergehen wird. Selbst Experten, wie der renommierte Sicherheits- und Terrorismusforscher Peter Neumann, begnügen sich, sinngemäß, mit der Analyse: Das kann in alle Richtungen fallen.
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Der günstigste Fall wäre, dass die bisherigen Rebellen und neuen Machthaber ihre Versprechungen wahrmachen – und das Land jetzt tatsächlich auf einen Kurs einer stabilen und auch für Minderheiten sicheren Demokratie führen. Es wäre aber blauäugig, das für den wahrscheinlichsten Fall zu halten. Der – leider wahrscheinlichere – worst case wäre ein Zerfall Syriens in Herrschaften verfeindeter Warlords, viele davon mit islamistischem Hintergrund, die andersgläubige Minderheiten im Land terrorisieren und vertreiben.
Der Leitsatz für die österreichische Politik muss in dieser Situation lauten: Hope for the best, prepare for the worst.
Die Union muss sich engagieren
Konkret sollte die Republik jetzt auf zwei Ebenen tätig werden. Einerseits im Zusammenspiel mit der Europäischen Union, in der gemeinsamen Außenpolitik. Realistischerweise wird die Union in Syrien auch in den kommenden Jahren nur eine Nebenrolle spielen können – das Land war lange Spielball anderer Nationen, allen voran Russlands und des Iran, der Türkei, aber auch der USA. Europa hat dort wenig Standing, um die Ereignisse beeinflussen zu können.
Die Mittel, die sie hat, sollte die Union aber ausschöpfen, um darauf hinzuwirken, dass der erwähnte günstigere Fall einer Stabilisierung eintritt: Die Optionen reichen da von der Aufnahme diplomatischer Kontakte – auch wenn dort Leute in der neuen Führung sitzen, die bisher auf westlichen Terrorlisten zu finden waren – über ein finanzielles und wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm bis zum Angebot einer Friedenssicherungsmission. Europa hat größtes Interesse – nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aus migrations-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen –, dass in seiner Nachbarschaft kein zweites Libyen entsteht.
Auf der anderen Seite sollte die Union vorbereitet sein, falls Syrien weiter zerfällt und dadurch eine neue Flüchtlingswelle Richtung Europa auslöst. Das heißt: schnellstmögliche Umsetzung des neuen Migrationspakts, inklusive strengerer Grenzsicherung, Verteilung der Ankömmlinge auf alle Mitgliedstaaten und schnellen Verfahren, damit rasch klar ist, wer bleiben kann und wer nicht.
Die andere Ebene, auf der Österreichs Politik nach Assads Absetzung tätig werden muss, ist die innerstaatliche – nicht nur aus außenpolitischen Überlegungen, sondern auch um zumindest etwas Druck aus unseren mit der Integration der Ankömmlinge völlig überforderten Systemen zu nehmen, zum Beispiel dem Schulsystem.
Es Rückkehrern leicht machen
Die erste Maßnahme: Die Republik sollte es Menschen, die in den vergangenen Jahren hierhergekommen sind und jetzt angesichts der veränderten Situation in Syrien wieder zurückkehren wollen, möglichst einfach machen, das umzusetzen. Die schon jetzt vom Innenminister abwärts gewälzte Idee, möglichst schnell alle Syrer zwangsweise abzuschieben, wird nämlich noch auf Jahre ein Luftschloss bleiben. Selbst im besten Fall wird es lange brauchen, bis die syrischen Behörden weit genug sind, mit unseren zu kooperieren – von den nötigen zehntausenden rechtstaatlichen Verfahren über eine möglichen Aberkennung des Asylstatus ganz zu schweigen.
Daher sollte erste Priorität sein, dass die Republik allen Syrerinnen und Syrern in Österreich von sich aus anbietet, eine freiwillige Rückreise zu unterstützen. Bei der Organisation der Heimreise, bei der Abwicklung der Verpflichtungen in Österreich und auch mit einem Taschengeld bei der Ausreise. Im Idealfall nützt das allen Beteiligten: den Menschen, die endlich heimkehren können und auch Österreich, das auf einmal tausende gute Kontakte in ein Land mit einer geopolitischen Schlüsselrolle hat – Kontakte, die der Republik im Hinblick auf Sicherheit, Migration und wirtschaftliche Zusammenarbeit nützen würden.
Sollte sich Syrien mittelfristig stabilisieren, spricht nichts dagegen, dass Österreich die in ordentlichen Verfahren Asylberechtigungen zurücknimmt – mit Augenmaß sollte die Republik jenen, die sich seither gut integriert haben, aber aktiv anbieten, mittels Rot-Weiß-Rot-Karte hierzubleiben, um ihre Talente nicht zu verlieren. Für diese Diskussion ist es jetzt aber noch zu früh.
Wie gehen wir mit einer neuen Massenmigration um?
Hoch an der Zeit ist es dagegen, dass sich Österreich auch innerstaatlich auf den Worst Case vorbereitet: den Zerfall Syriens und die Vertreibung weiterer hunderttausender Menschen. Die Republik sollte von einer solchen Migrationswelle nicht noch einmal überrascht werden – und schon jetzt entscheiden, wie sie damit umgehen will, wenn auf einmal viele nach Österreich wollen.
Wollen wir einzelne Gruppen – vielleicht vertriebene Christen, vielleicht Angehörige einer bestimmten Minderheit? – unkompliziert aufnehmen, wie wir es in den letzten Jahren mit den Ukrainern getan haben, oder wollen wir unsere Grenzen schließen? Was unternehmen wir gegen das Schlepperunwesen? Wie schaffen wir es, die Verfahren schneller und effektiver zu gestalten?
Das desolate System der innerstaatlichen Verteilung von Asylsuchenden gehört spätestens jetzt völlig neu aufgesetzt. Der innerstaatliche Worst Case wäre, dass sich wieder Zehntausende vor allem in Wien ansiedeln, statt in jene Bundesländer zu gehen, wo Arbeitskräfte ohnehin schon händeringend gesucht werden und wo, weil die Dichte noch nicht so hoch ist, auch die Integration im Schulsystem viel einfacher gelingen kann.
All das sind Dinge, die besser heute als morgen erledigt gehören.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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