|
|
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
|
„Endlich macht das mal wer!“, „Warum machen wir das nicht genauso?“, „Genau so geht man mit shithole countries um!“: So oder so ähnlich lautet der Tenor meiner Social-Timelines zur jüngsten Aktion von US-Präsident Donald Trump. Der hatte mit Kolumbien kurzen Prozess gemacht und eine ganze Latte verheerender Sanktionen in Aussicht gestellt, sollte der südamerikanische Staat nicht umgehend Abschiebeflüge aus den USA akzeptieren. Rücksichtnahme auf Völkerrecht und diplomatische Gepflogenheiten: Be damned!
|
|
|
|
|
|
|
Das findet man in der Regel genauso lange gut, bis man selbst eines der „shithole countries“ ist, das derart gegängelt wird. Öffnen die Weltmächte einmal die Tür und Tor, um das Recht des Stärkeren voll auszuleben, werden wir sie auf Jahre oder gar Jahrzehnte nicht mehr dazu bringen, sie wieder zu schließen. Glaubt ernsthaft jemand, dass Trump die Zoll- und Sanktionen-Karte mittel- und langfristig nur für Abschiebungen zücken wird? Nächstes Mal könnte sich der Präsident vielleicht höhere Einkäufe in den USA wünschen – zum Beispiel Öl, Gas oder Rüstungsgüter –, eine Rücknahme staatlicher Regulierungen gegenüber US-Unternehmen oder gleich: Grönland.
|
|
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde, können Sie ihn hier kostenlos abonnieren. Er erscheint jeden Dienstag Nachmittag.
|
|
Der mit Abstand beunruhigendste Text, den ich in den vergangenen Tagen gelesen habe, betrifft letzteres. Die FT hat in mehreren europäischen Hauptstädten recherchiert und Details zum Telefonat der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mit Trump veröffentlicht, der ja Interesse an der zu Dänemark gehörigen Insel angemeldet hatte.
“The intent was very clear. They want it. The Danes are now in crisis mode,” said one person briefed on the call. Another said: “The Danes are utterly freaked out by this.”
A former Danish official added: “It was a very tough conversation. He threatened specific measures against Denmark such as targeted tariffs.”
Planen für den worst case
Ich versuche ja hier im „Leitfaden“ regelmäßig pragmatisch zu bleiben - und auch im Angesicht von Populismen und anderen Aufregungen nüchterne, konstruktive Lösungen aufzuzeigen. Aber ich will ehrlich sein: Ich habe kein Rezept, wie wir als Europäische Union oder als Republik Österreich auf so etwas reagieren sollten.
Der Gedanke, dass die USA, der wichtigste Handelspartner und militärische Verbündete der EU, einem friedlichen Nato-Staat wie Dänemark zumindest mit Wirtschaftssanktionen Territorium abpressen will, ist schlicht beängstigend – ganz besonders für ein kleines, exportorientiertes Land wie Österreich, dessen Wohlstand in hohem Maß auf einer geordneten, offenen Weltwirtschaft basiert. Und wer sagt, dass es nicht noch schlimmer kommt und Trumps Weißes Haus in den nächsten Jahren militärisch Fakten in Grönland schafft?
Natürlich könnte man darauf hoffen, dass sich in Amerika die besonnenen Kräfte durchsetzen, dass die überzeugten Transatlantiker unter den Republikanern den Wert ihrer Allianzen in Europa erkennen und den Präsidenten zurückpfeifen. Aber das wäre mit Blick auf Trumps Machtposition und Unberechenbarkeit magisches Wunschdenken. Die EU und mit ihr Österreich braucht zumindest einen Plan für den worst case, dass die USA Grönland tatsächlich einverleiben wollen.
Der Preis der Abhängigkeit
Einen win-win-Ausgang gibt es in dieser Situation nicht. Gibt Europa klein bei oder kann es sich nicht einmal auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen, beweist es abermals seine geopolitische Handlungsunfähigkeit. Die Folge wäre, dass die EU – oder, noch schlimmer, die einzelnen Mitgliedstaaten – von den Großmächten nach Belieben erpresst und, letzten Endes, unterdrückt werden.
Aber auch eine souveränere Alternative ist düster. Setzen die USA ihre Drohungen gegen Dänemark oder andere Mitgliedstaaten in die Tat um, muss die EU mit ihren Mitteln dagegenhalten: mit diplomatischem Protest, Wirtschaftssanktionen und sogar mit dem sukzessiven Ausstieg aus der militärischen Zusammenarbeit.
Das sagt sich so leicht, wäre aber mit massiven Kosten auf allen Ebenen verbunden: Europa hat sich über Jahrzehnte eng mit den USA verknüpft, befindet sich militärisch – man schaue nur in die Ukraine - nachrichtendienstlich, wirtschaftlich und kulturell in gegenseitiger Abhängigkeit mit Amerika. Diese Bande zu kappen würde eine Krise auslösen, die alles übertrifft, was Europa seit dem 2. Weltkrieg erlebt hat.
Souveränität verteidigen, auch wenn es weh tut – oder zeigen, dass man sich jeder Großmacht vor die Füße wirft: Was darf es sein? Und hat die EU in ihrer aktuellen innenpolitischen Verfassung überhaupt noch die Kraft, das zu entscheiden?
Das best case-Szenario wäre, dass Trumps Fantasien eines amerikanisch beherrschten Grönlands eben das bleiben: Fantasien. Nichtsdestotrotz muss sich Europa ein Stück weit aus seinen Abhängigkeiten lösen und eine eigene geopolitische Stärke aufbauen. Denn dass die Zeit zurückkehrt, in der Macht nicht automatisch bedeutet, sich jedes Recht nehmen zu können – diese Hoffnung muss man nach Trumps kolumbianischer Episode wohl länger ad acta legen.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
|
|
|
© Satzbau Verlags GmbH
|
|
|
|