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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Ich weiß, heute ist Budget-Tag. Aber bis ich das schwarz-rot-pinke Werk 25/26 einigermaßen überblicke, wird noch ein bisschen Zeit vergehen; außerdem sollte nicht unter den Tisch fallen, was das Parlament sonst noch so treibt. Da ist nämlich gerade Außergewöhnliches vorgefallen: Die FPÖ hat vergangene Woche mehr als 800 parlamentarische Anfragen rund um die Covid-Maßnahmen der vorigen Bundesregierung eingebracht.
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Detaillierte Fragen zur Grundlage der Maßnahmenverordnungen, zur Übersterblichkeit in Österreich, zu politischen Entscheidungswegen und vieles mehr.
Für die Verwaltung ist das eine Ausnahmesituation: Wie für alle Anfragen von Abgeordneten haben die Ministerinnen und Minister zwei Monate Zeit für ihre Antwort. Durch die schiere Masse – üblicherweise langen zwischen 3.000 und 4.000 Anfragen pro Jahr ein – und wegen ihres hohen Detailgrads fühlt sich vor allem das Gesundheitsministerium überfordert.
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Inhaltlich muss man dazu sagen: Dass die FPÖ diese Fragen stellt, ist legitim. Auch wenn vieles des Erfragten zumindest zum Teil bekannt ist, ist ein strukturierter, öffentlicher Aufarbeitungsprozess der Corona-Maßnahmen sinnvoll.
Aber dann ist da noch die Form: Vor allem die massenhafte Gleichzeitigkeit der Anfragen, für die alle derselbe Fristenlauf gilt, ist ein obszöner Missbrauch des wichtigen Interpellationsrechts – die Verwaltung ist darauf nicht ausgelegt, so viele Anfragen gleichzeitig zu bearbeiten; der Vorwurf der Regierungsparteien, es ginge der FPÖ hier mehr um Aktionismus als um Aufklärung, ist kaum von der Hand zu weisen. Der parlamentarischen Kontrolle erweisen die Freiheitlichen einen Bärendienst.
Sachlich abarbeiten oder österreichischer Weg?
Wie kann die Regierung darauf reagieren? Ich hoffe, auf die souveränst mögliche Art: Indem sie die Anfragen fristgerecht, präzise und ordentlich abarbeitet. Ja, das ist ein beträchtlicher Aufwand, und ja, besonders die Gesundheitsministerin darf durchaus öffentlich kritisieren, in welchem Ausmaß die Freiheitlichen hier schikanös agieren. Trotzdem sollte sie alle Hebel in Bewegung setzen, dem Kontrollrecht Folge zu leisten.
Wahrscheinlicher ist aber eine österreichische Lösung: Die Ministerinnen und Minister werden am letztmöglichen Tag des Fristenlaufs bekannt geben, dass sich etliche der Antworten leider, leider nicht fristgerecht ausgehen werden – und andere mit Verweis auf den übergroßen Verwaltungsaufwand zumindest teilweise unbeantwortet lassen, wie das bei handelsüblichen Anfragen immer wieder vorkommt.
Das wird den betreffenden Regierungsmitgliedern eine Menge Gezeter seitens der FPÖ und vielleicht auch die eine oder andere Rüge aus dem Nationalratspräsidium einbringen – aber ansonsten kaum Folgen haben. Beide Seiten werden ihre Erzählungen pflegen, die Freiheitlichen von der Regierung, die die Wahrheit über Covid verborgen halten will, die Regierung von der destruktiven FPÖ, auf der Strecke bleiben werden die Lehren aus der Pandemie.
Besser: Ein gemeinsamer Corona-U-Ausschuss
Vernünftige, konstruktive Politik könnte stattdessen so ausschauen: Alle im Nationalrat vertretenen Parteien einigen sich auf einen gemeinsamen Covid-Untersuchungsausschuss. Dort sichten sie dann gemeinsam ein Jahr lang Akten und lassen sich von den damaligen Entscheidungsträgern – Politikerinnen und Politikern genauso wie Spitzenbeamtinnen und Spitzenbeamte – ausführlich Auskunft geben darüber, wie welche Entscheidungen gefallen sind, welche Entscheidungswege effektiv waren, wo man im Kampf gegen Covid an die Grenzen des rechtlich, faktisch und politisch Möglichen gestoßen ist.
Und am Ende liegt da ein – idealerweise gemeinsam abgefasster – Bericht, der nicht nur ausdifferenziert ist, was da von 2020 bis 2022 in unserer Republik alles passiert ist und wer in welchem Ausmaß verantwortlich dafür war; sondern besonders auch, was der Staat daraus lernen kann, welche Daten erfasst werden müssten, welche Gesetze reformiert gehörten, um für zukünftige Katastrophen gefasst zu sein.
Es steht zu befürchten, dass die FPÖ, die sich angesichts der Pandemiemaßnahmen weit über berechtigte Kritik hinaus in wirren Verschwörungserzählungen verlaufen hat, zu einem solchen konstruktiven Prozess nicht in der Lage ist. Noch weniger als ÖVP und Grüne ein Interesse haben, ihre eigenen Fehler in dieser Zeit noch einmal aufzuarbeiten.
Das ist schade. Österreich hat in der Pandemie vieles richtig, aber doch auch einiges falsch gemacht – und die mangelnde Aufarbeitung, mit der man das eine vom anderen trennen könnte, wird uns langfristig als Staat schwächer machen, genau wie die Tatsache, dass „Corona!“ inzwischen mehr innenpolitischer Kampfruf ist als ein externes, für die meisten Entscheidungsträger völlig neues Problem, das der Staat damals klarerweise managen musste.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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