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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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Ich habe es ursprünglich ernsthaft für einen Aprilscherz gehalten: Als der Kurier ausgerechnet am 1.4. meldete, dass Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer für den von Österreich zu besetzenden Direktorsposten der Europäischen Investitionsbank EIB vorgeschlagen hat, habe ich mir nur gedacht: good one.
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Aber: Lachen Sie nicht, es ist ernst. Nehammer wird tatsächlich demnächst seinen Sitz in dem neunköpfigen Gremium einnehmen, das unter Ägide des Rats der EU-Finanzminister milliardenschwere Investitionstätigkeiten in Europa, seinen Partner- und Entwicklungsstaaten verwaltet. Mit der Nominierung durch Marterbauer ist die Bestätigung durch den Rat nur noch Formsache: Jeder EU-Staat darf im Radl einen Kandidaten für das Gremium nominieren. Die meisten Staaten entsenden dorthin Finanzexpertinnen und -experten: Bankiers, Volkswirtinnen oder zumindest ehemalige Finanzminister.
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Der österreichische Kandidat – ehemals Kanzler, Minister und auch Parteisoldat – ist offensichtlich nichts davon. Ich habe an dieser Stelle ja mehrfach argumentiert, dass ich Nehammer für einen passablen Kanzler gehalten habe. Er hat die Republik in einer schwierigen Lage geführt und sich im Amt den Anstand bewahrt – etwa in seiner Unterstützung für die Ukraine und Israel, statt sich populistisch hinter der Neutralität zu verschanzen. Aber qualifiziert ihn das, ein extrem technisches, zahlenlastiges Amt zu führen? Wenn man sich die Lebensläufe von Nehammers zukünftigen Kollegen und die Aufgaben des Gremiums anschaut – darunter besonders die Prüfung der einzelnen Geschäfte der Bank – wird man zu dem Schluss kommen müssen: Nein, das reicht nicht.
Man könnte schon argumentieren, dass es im Kern eine politische Funktion ist, keine fachliche; dass ein ehemaliger Kanzler genügend europapolitische Erfahrung hätte, um diesen Job machen zu können; und dass es gute Gründe haben könnte, dass die Union eben keine Voraussetzungen für den mit 31.177 Euro monatlich (plus Residenz- und Familienzulagen usw.) abgegoltenen Posten festgeschrieben hat.
Aber machen wir uns nichts vor: Nehammer hat diesen Job nicht, weil Marterbauer ihn nach ausführlicher Suche als bestqualifizierten Kandidaten auserkoren hat. Er hat ihn, weil sich ÖVP und SPÖ das ausgedealt haben, weil die Volkspartei ihrem ehemaligen Chef und Kanzler, der ohne großes Drama beiseite getreten ist, ein gut dotiertes Ausgedinge zukommen lassen wollte.
Das ist alte Politik, ein „weiter wie bisher“ im schlechtesten großkoalitionären Sinn. Eine Postenzuschanzerei, wie Rot und Schwarz sie über Jahrzehnte gepflogen haben – ein braver Parteisoldat bekommt einen Posten, ohne dass weit qualifiziertere Kandidaten auch nur in Betracht gezogen worden wären.
Es ist ein erster Sündenfall der Koalition, die hoch und heilig versprochen hatte, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und jetzt sicher nicht mehr in alte Muster zurückfallen zu wollen. Wenn noch ein Rest jenes Anstands vorhanden ist, den Nehammer sogar zum Titel seiner Memoiren gemacht hat,, sollte die Koalition diesen Aprilscherz schleunigst revidieren.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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