Après-Ski?
Die Klimakrise lässt bei vielen Skipisten immer mehr die Wiese durchscheinen. Der Österreichische Skiverband (ÖSV) will ebenfalls grüner werden und startete Ende 2023 eine Klimataskforce. Wie dekarbonisiert man einen Nationalsport?
Vom Starthäuschen aus geht es für Alexander Payer nur bergab. Der rot-weiß-rote Profi-Snowboarder schwingt sich beim Weltcupauftakt im chinesischen Yanqing den braun-weiß-braunen Hügel hinab. Der Rennhang besteht aus einem schmalen Schneeband, eingebettet in eine sonst fast schneelose Landschaft. Bilder wie dieses sind zum einsamen Eisbären auf der schmelzenden Scholle des Wintersports geworden. In Südost-Asien ist es trocken und ›abartig kalt‹, wie Payer meint. Naturschnee gibt es hier wenig, dafür beste Bedingungen für Kunstschneeproduktion, der für Wettkämpfe sicherheits- und fairnesstechnisch sowieso besser sei, sagt der 35-jährige Athletensprecher für die auch im ÖSV angesiedelten Snowboarder. Payer engagiert sich bei der NGO ›Protect our Winters‹ für einen nachhaltigen Wintersport und weiß, oberflächlich scheint seinem Beruf die Grundlage wegzuschmelzen. Technisch gesehen könnte auch bei Plusgraden beschneit werden, sagen Experten. Doch hier geht es um mehr als nur die Frage Schnee oder Wasser. Es geht darum, einen Nationalsport klimafit zu machen.
In Österreich wird dessen Zukunft heiß diskutiert. Schließlich hängt viel daran: 250.000 Arbeitsplätze im Wintertourismus, rund 12,6 Milliarden Euro Umsatz jährlich und die Identität als Skifahrernation. Die Klimakrise stellt gerade den Wintersport vor viele Herausforderungen, in den Alpen wird es immer wärmer, mildere Winter werden häufiger. ›In Österreich sind die Schneeverhältnisse unter 1.500 bis 2.000 Metern stark an die Lufttemperatur gekoppelt. Darüber ist eher der Niederschlag entscheidend‹, erklärt Roland Koch, Klimatologe bei der Geosphere Austria. Auch wenn Schnee stark von den lokalen Gegebenheiten abhängt, lassen sich so Trends festmachen: Während den niedrig gelegenen Gebieten bis 2100 tendenziell der Schnee ausgeht, bekommen die sehr hoch gelegenen vielleicht sogar mehr dazu. In der Klimakrise gibt es also auch bei Skigebieten Gewinner und Verlierer.
Koch hat am Projekt FuSE-AT mitgearbeitet, das Schneemodellierungen mit Österreichs Klimaszenarien kombiniert. Ihre Ergebnisse zeigen: Wie viel Naturschnee zukünftig fällt und wie gut Kunstschnee produziert werden kann, hängt stark davon ab, welchen Klimapfad wir einschlagen. Im Szenario mit der stärksten Erwärmung könnten bis 2100 zwei Drittel unserer Skigebiete nicht mehr schneesicher sein, ergab eine Studie des Tourismusforschers Robert Steiger von der Universität Innsbruck. Schon jetzt werden rund 70 Prozent unserer Skipisten beschneit. Und manchmal reicht selbst das nicht.
Der Ski-Weltcupauftakt in Sölden 2023 war eine kleine Zäsur im Image des österreichischen Wintersports. Mit Baggern trugen die Organisatoren Teile des Rettenbachgletschers ab, um damit die Rennstrecke daneben zu präparieren. Die Bilder davon gingen viral, die Letzte Generation störte kurz darauf den Slalom in Gurgl, der norwegische Skistar Henrik Kristoffersen rastete wegen des Protests vor laufender Kamera aus, und plötzlich beschäftigte sich auch der ÖSV erstmals mit Klimakrise und Nachhaltigkeit. Die orange Farbe im Zielhang schien bei den Verantwortlichen etwas ausgelöst zu haben. ›Als uns die Klimakleber damals überrascht haben, war uns klar, jetzt müssen wir uns intensiv dem Thema widmen‹, sagt ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober. ›Wobei, wir wussten, dass sie kommen, aber bevor sie nicht wirklich da sind, glaubt man es ja nicht.‹
Im Zuge der bereits laufenden Strukturreform im Verband kündigte ÖSV-Generalsekretär Christian Scherer nicht einmal einen Monat nach Sölden eine Klimataskforce mit Beteiligung von Greenpeace an. Auch der mittlerweile ehemalige Ski-Profi Julian Schütter, der mit der Letzten Generation auf die Straße ging, sollte dabei sein. Die Taskforce bekam schnell einen sperrigeren Namen und das Klimathema rutschte in eine Untergruppe. Drei Themen stellte der ÖSV ins Zentrum seines Veränderungsprozesses: ›Leistbarer Wintersport‹, ›Emotion Wintersport‹ und ›Nachhaltiger Ski- & Snowboardsport‹. Rund fünfzig Personen aus der Wirtschaft, dem Umfeld des ÖSV und dem NGO-Bereich diskutierten miteinander. Der ehemalige ÖSV-Chef Peter Schröcksnadel ließ sogleich via Kronen Zeitung ausrichten, dass er von den Plänen nichts halte: ›Was soll bei dieser Arbeitsgruppe rauskommen außer Worthülsen?‹ Der Prozess war wohl auch der Versuch einer Abgrenzung zu seiner Amtszeit, in der Klima keine Rolle spielte. Wie gut hat das funktioniert?
Anfang März 2024 waren Vertreter der Sportgewandfirma Löffler, des Pistenfahrzeugproduzenten Prinoth, der Umwelt-NGO ›Protect our Winters‹, der Versicherung Uniqa, der Seefeld Tourismusagentur, von Greenpeace und dem Seilbahnhersteller Doppelmayr ins babyblaue ÖSV-Hauptgebäude in Innsbruck eingeladen. Nicht alle konnten kommen, wurden dann aber über Online- und Einzel-Termine integriert. Im u-förmigen Konferenzraum sollte die Untergruppe Nachhaltigkeit Verbesserungsvorschläge und Erwartungen an den ÖSV erarbeiten. Input kam aus Vorträgen von ÖSV-Mitarbeitern zu bisherigen Projekten des Verbands. Als einziger Externer hielt ›Skitourismusforscher‹ Günther Aigner eine Präsentation.
Der Tiroler hat Wirtschaftspädagogik und Sportwissenschaften studiert, wird medial häufig als Experte zur Zukunft des Wintersports befragt und arbeitet als Berater für Skigebiete, Seilbahnen und Tourismusverbände. Aigner sieht sich als interdisziplinäre Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, er referierte an diesem Tag über Optimismus und warum Skifahren doch ökologischer sei als gedacht. Auf Aigners Folien finden sich mehrere Aussagen, die von universitären Fachexperten als zumindest irreführend bezeichnet werden und einer genaueren Betrachtung nicht standhalten.
Beispielsweise, dass sich die Schneegrenze bis 2050 um rund 200 Meter nach oben verschieben und das in den meisten klassischen Skigebieten ›wenig spürbar sein‹ werde. So pauschal stimme das nicht, meint Klimatologe Koch von der Geosphere Austria, gerade bei Lagen, in denen ein bis zwei Grad Celsius zwischen Regen und Schnee entscheiden, habe jede Erwärmung deutliche Auswirkungen. Aigner schreibt auch, dass mit Stand Oktober 2023 der ›Worst Case‹ der Klimaszenarien ›nicht mehr in Reichweite‹ sei und globale Klimamaßnahmen bereits greifen würden. ›Wenn das heißt, es wird sicher nicht mehr passieren, dann ist das falsch‹, sagt Robert Steiger, der an der Universität Innsbruck zu nachhaltigem Tourismus forscht. ›Gerade jetzt, wenn die USA aus dem Pariser Abkommen aussteigen, können globale Emissionen genauso gut wieder steigen.‹
Ebenso bedeute die von Aigner zitierte Tatsache, dass 2050 noch 80 Prozent der Gebiete schneesicher sind, nicht, dass es dann auch 80 Prozent unserer heutigen Skigebiete noch geben werde, gibt Steiger zu bedenken: ›Der Klimawandel ist ein ziemlicher Kostentreiber.‹ Der Betrieb könnte dann vielerorts unrentabel sein. Unter der Überschrift ›Ökologischer als gedacht‹ vergleicht Aigner auch die Emissionen von Schneekanonen, Seilbahnen und Liften mit dem CO₂-Fußabdruck von Taylor Swift. Oder zeigt ein Bild einer Blumenwiese im Skigebiet Schmittenhöhe und folgert, dass Beschneiung und Präparierung ›offensichtlich keinen nennenswerten nachteiligen Einfluss‹ auf die Biodiversität unter Skipisten habe. Für Thomas Brudermann, Nachhaltigkeitsforscher und Wirtschaftspsychologe an der Universität Graz, ist das ein Beispiel für ›anekdotische Evidenz‹. Für seriöse Aussagen brauche es hingegen systematische Studien und Begutachtung durch eine Fachzeitschrift.
›Das ist eine Marketingpräsentation und keine wissenschaftliche‹, sagt Brudermann. ›Es wird vermittelt: Wird eh nicht so schlimm.‹ Robert Steiger findet das gerade im Kontext einer strategischen Neuausrichtung problematisch. ›Ist jemand, der weder Meteorologie noch Klimatologie studiert hat, wirklich der Richtige, um über das Thema Klimawandel zu sprechen?‹, fragt der Tourismusforscher. ›Die Bedeutung des Themas verlangt Fachexpertise. In Österreich gibt es genug Wissenschaftler, die dazu etwas zu sagen hätten.‹ Warum lädt der ÖSV jemanden wie Aigner als einzigen Vortragenden zur Untergruppe Nachhaltigkeit?
›Ich nehme den Klimawandel – auch wegen meinem Vorvorgänger – sehr ernst‹, weicht ÖSV-Präsidentin Stadlober der Frage aus. ›Wir wollten alle kritischen Stimmen anhören und uns ein eigenes Bild machen. Aber das heißt nicht, dass wir das eins zu eins übernehmen oder gutheißen.‹ Aigner sei außerdem nicht eingeladen worden, die Präsentation zu halten, sondern habe sich aktiv angeboten, heißt es seitens des ÖSV. In Zukunft soll eine Runde der Wissenschaft, die sich aus dem Experten-Pool der deutschen Stiftung ›Sicherheit im Skisport‹ speist, zur Steuerungsgruppe hinzugezogen werden. Aigner ist nicht dabei.
Das Gesprächsklima in der Runde sei stets konstruktiv gewesen, auch wenn es immer wieder Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, sagen Teilnehmende gegenüber DATUM. Die Ideen aus den drei Untergruppen wurden gesammelt. Schlussendlich entschied aber die Steuerungsgruppe allein, welche Maßnahmen im ›Zukunfts:Aktions:Programm‹ stehen. In dieser Steuerungsgruppe sitzen neben den Ex-Skiläufern Felix Neureuther und Benjamin Raich auch Vertreter der Planai-Bergbahnen oder des Hauptsponsors A1. Im Juni 2024 beschloss der ÖSV das 25-seitige Papier auf seiner Länderkonferenz.
Das Programm solle den Wintersport aus der Perspektive ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit betrachten, erklärt Stadlober. Gefordert wird darin beispielsweise ein Ausbau der Mattenpisten in städtischen Skihallen, um Skifahren günstiger und niederschwelliger zu machen. Eine Ski- oder Snowboardausbildung soll wieder verpflichtender Teil der Sportlehrerausbildung werden, außerdem brauche es mehr Förderung für Wintersportwochen. Im Spitzensport solle die FIS den Rennkalender anpassen, Reisekilometer minimieren und den Saisonstart nach hinten verlegen. In Zukunft will der ÖSV einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen.
Im Programm steht der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Untergruppen einigen und den die Steuerungsgruppe akzeptieren konnte. Die wenigsten der Maßnahmen haben einen Zeitplan oder konkrete Kriterien, an denen ihre Umsetzung gemessen werden könnte. Beispielsweise heißt es, der ÖSV nehme sich eine ›deutliche Reduktion‹ seiner Emissionen vor. Die von Greenpeace vorgeschlagene Passage, sich zu verpflichten, unnötige Emissionen einzusparen, wurde hingegen nicht übernommen. Die existierende CO₂-Bilanz ist nicht öffentlich, ›schließlich sind wir gesetzlich noch nicht dazu verpflichtet‹, sagt eine Sprecherin. In diesen zwei Punkten ist sogar die vielkritisierte FIS dem österreichischen Verband voraus und hat mit dem ›FIS Impact Programm‹ sowohl einen Zeitplan mit Maßnahmen als auch Klimaneutralität bis 2040 als Ziel festgeschrieben. Einzig die Umsetzung fehlt noch hier wie dort und die Vollständigkeit der CO₂-Bilanz der FIS bleibt fragwürdig.
Einen wichtigen Hebel greift der ÖSV allerdings an: die Mobilität. Im Wintertourismus ist die An- und Abreise für rund 70 bis 80 Prozent der Emissionen verantwortlich, auch bei Weltcuprennen spielt sie eine große Rolle. Beim Publikum genauso wie bei Athletinnen und Athleten. ›Wir hatten auf der China-Reise knapp 110 Kilo Reisegepäck pro Person‹, sagt Profi Alexander Payer, ›eine große Reisetasche, einen Rucksack und mehrere Boards – mindestens zwei pro Disziplin.‹ Snowboarden sei da eher auf der sparsamen Seite, im Ski-Alpin sehe das noch einmal anders aus. Wenn die achtköpfige Weltcup-Mannschaft für Super-G und Abfahrt nach Nordamerika reist, seien gut fünf Tonnen Gewicht im Cargoflieger dabei, schätzt Julian Schütter, Ex-Ski-Profi und Ex-Aktivist bei der Letzten Generation. Da gebe es Einsparpotential, indem weniger Ski eingepackt und überflüssiges Equipment zu Hause gelassen werde, findet er. Sukzessive passiere das schon, meint Payer.
Für die laufende Ski-WM in Saalbach erstellte der Verband ein eigenes Mobilitätskonzept. Das WM-Ticket dient gleichzeitig als Öffi-Fahrkarte, der nächstgelegene Bahnhof wurde erst kürzlich ausgebaut, Direktzüge dorthin stehen bereit, ein Shuttleservice zur Rennpiste ebenfalls. Zusätzlich zum Green-Event-Label des Landes Salzburg streben die Organisatoren auch eine Zertifizierung mit der internationalen ISO-Norm für nachhaltiges Veranstaltungsmanagement an.
Im ÖSV-Zukunftsprogramm steht als prominentester Punkt im Kapitel Klimaschutz die Forderung an die Bundesregierung, ein Event-Klimaticket einzuführen, das in etwa die gleiche Funktion wie das WM-Ticket haben soll. Auf Anfrage erklärt das Klimaministerium, dass es seitens des ÖSV bisher keine Gesprächsanfrage dazu gegeben habe. Der ÖSV sei jedoch bei allen Parteien mit seinen Anliegen vorstellig gewesen, erklärt Stadlober, für offizielle Gespräche wolle sie die Regierungsbildung abwarten. Das ÖSV-Programm wird in seiner jetzigen Form laufend evaluiert, jedoch in näherer Zukunft nur um das Thema ›Sicherheit und Gesundheit‹ erweitert. Die klimarelevanten Maßnahmen werden damit wohl erst einmal nicht ergänzt.
Der Gedankenaustausch wird in schlankerer Form weitergeführt: Die Steuerungsgruppe tagt regelmäßig, hin und wieder werden Organisationen und Personen aus den Untergruppen hinzugezogen. Das nächste Treffen ist für den 5. Februar in Saalbach bei der Ski-WM angesetzt. Auch ›Protect our Winters‹ und Greenpeace sind dort zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Letztere positionierten sich von Anfang an als kritische Beobachter, ›damit es kein Greenwashing wird‹. Mit Blick auf das Programm: Ist ihnen das gelungen? ›Bisher ist viel Papier produziert worden‹, sagt Ursula Bittner, die Vertreterin der Umweltorganisation in der Untergruppe. ›Die Frage bleibt, ob das jetzt auch zur Umsetzung kommt. Die mutigen Schritte sind noch ausgeblieben.‹ Sie kritisiert auch, dass es seit der Veröffentlichung des Papiers nur mehr wenig Austausch mit dem ÖSV gegeben habe.
Snowboarder Alexander Payer hat das Gefühl, mit der neuen Generation im ÖSV gehe es in die richtige Richtung. ›Es war schon einmal viel schlimmer‹, sagt Payer, ›es ist nicht mehr wie früher: Jedes Jahr alles neu und immer noch eine größere Halle mieten. Es wird kleiner und familiärer, das finde ich positiv. Auch wenn noch lange nicht alles perfekt ist.‹ •