
Ein Raiffeisen-Mann, der unmittelbar in die Verhandlungen über die künftige Koalition zwischen FPÖ und ÖVP involviert ist. Ein Bankenboss aus dem Raiffeisen-Sektor, der immer öfter in der Öffentlichkeit auftritt und die wichtigste Lobbying-Maschine für Banken anführt. Schilderungen aus den Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos, wonach diese auch am Widerstand aus dem Raiffeisen-Sektor gescheitert seien.
Die Zeichen sind nicht zu übersehen: Raiffeisen ist wieder auf die politische Bühne getreten. Zu den Hauptdarstellern zählt etwa Clemens Niedrist. Der Generalsekretär der Raiffeisen Landesbank (RLB) NÖ-Wien und ihrer Mutter Raiffeisen Holding NÖ-Wien ist Mitglied jener Gruppe in den Koalitionsverhandlungen, die über Finanz- und Steuerpolitik berät. Bei den Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ, Neos war er eine der gewichtigen Stimmen gegen die Bankenabgabe.
Politische Vernetzung
In der Politik ist der 36-Jährige bestens vernetzt, war er doch Kabinettschef im Justizressort unter Wolfgang Brandstetter und später Kabinettschef im ÖVP-geführten Finanzministerium unter Gernot Blümel und Magnus Brunner. Mitte 2023 wechselte er als Generalsekretär in Richtung Giebelkreuz.
Und zwar zu Michael Höllerer. Der heute 47-jährige Niederösterreicher ist seit Juni 2022 Vorstandschef der RLB NÖ-Wien und ihrer Holding. Auch Höllerer ist, nicht nur in der ÖVP Niederösterreich, bestens vernetzt und kennt Politik wie Bankenwesen. 2004 begann der Jurist in der Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA, wechselte in die Raiffeisenzentralbank und von dort ins Kabinett von ÖVP-Finanzminister Josef Pröll. 2012 kehrte er in die Bank zurück, kam später in deren Vorstand und wurde 2017 Generalbevollmächtigter der Raiffeisenbank International (RBI).

Powerplay bei Raiffeisen
Rasend aufgefallen ist er in der Öffentlichkeit damals nicht – nun fällt er auf. Als Boss der RLB NÖ-Wien gibt er selbstbewusste Interviews, setzt sich immer öfter auch öffentlich gekonnt in Szene. Und jetzt ist er auch Obmann der Bundessparte Bank und Versicherung in der Wirtschaftskammer. Sie tritt für die Interessen der Kreditwirtschaft und Versicherer ein und ist ein wichtiger Machtfaktor in Österreichs Wirtschaftsszene mit viel Öffentlichkeitswirksamkeit, den sich der Sektor nach einer längeren Durststrecke wieder zurückerobert hat. 18 Jahre hatte diese Rolle Ex-Raiffeisenbanker Walter Rothensteiner inne, 2015 bis vorigen Sommer hielten die Chefs der Erste-Group das Zepter in der Hand. Nun ist wieder Raiffeisen dran, und Beobachter sind sicher, dass "Höllerer auf Powerplay ausgerichtet ist".
In den vergangenen rund zehn Jahren war die Bühnenpräsenz von Raiffeisen dagegen bescheiden, seine Macht und gesellschaftliche Rolle schienen zu zerbröseln. So sehen das sowohl aktuelle als auch ehemalige Player des genossenschaftlich organisierten Sektors.

Viele machen das am Abgang von einer Person fest: Christian Konrad. Er war jahrzehntelang Generalanwalt des Raiffeisenverbands und galt schlicht als "Mr. Raiffeisen". Ob in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur: Konrad war dabei, Konrad kannte alle, Konrad kannten alle. Und sein Wort hatte Gewicht, viel Gewicht.
Konrads Veto
Eines der berühmten Beispiele dafür spielt in der Zeit der Finanzkrise. Um Österreichs Banken zu stützen, wurde 2009 beschlossen, dass die Republik ihnen Eigenkapital zuschießt. Im Rahmen dieses Pakets wurde darum gerungen, ob Österreich, so wie andere Länder, auch Anteile an den gefährdeten Kreditinstituten übernehmen soll. Der Staat hätte seine Aktien später womöglich gewinnbringend verkaufen können. Seitens der Republik wollte man gern Aufsichtsratsmitglieder in die Banken schicken, bei Bestellung und Bezügen von Vorstandsmitgliedern mitreden, ein Dividendenverbot erlassen.
Das war ein No-Go für Raiffeisen-Boss Konrad. Seinen Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) ließ er wissen: "Von dir lass ich mich nicht verstaatlichen." Letztlich übernahm der Staat keine Aktien, schickte keine Leute in Aufsichtsräte, griff nicht in Vorstandsverträge ein – sondern stellte nur mit neun Prozent verzinstes Kapital zur Verfügung.
Geld, Milch und Industrie
Aber was gehört eigentlich alles zu Raiffeisen? Sehr viel. Vier Sektoren, nämlich Geld, Ware, Milch (Milchverwertung) und "weitere Genossenschaften" (von Winzern bis Carsharing). Österreichweit gibt es rund 320 selbstständige Raiffeisenkassen, sie sorgen auch für Präsenz der Giebelkreuz-Genossenschaften in fast jeder Gemeinde, sponsern Sportvereine und Feuerwehrfeste, Sozialprojekte und Kulturevents. Ihnen gehören die acht mächtigen Landesbanken – Wien und Niederösterreich sind in einer vereint – und diesen wiederum zu 61 Prozent die börsennotierte RBI, die rund 1800 Filialen in Zentral- und Osteuropa unterhält, von Bratislava bis Moskau.
Zur Ware gehören die rund 80 Lagerhäuser im ganzen Land, insgesamt macht die RWA-Gruppe rund 3,6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Die RWA AG versteht sich als Großhändler und Dienstleister der Lagerhaus-Genossenschaften, verkauft unter anderem jene Agrarprodukte, die sie von den Landwirten beziehen. Die Beteiligung der RWA AG am riesigen wankenden deutschen Mischkonzern Baywa hat sich zuletzt zum finanziellen Drama entwickelt.
Das Raiffeisen-Imperium
Ja, und dann besitzt Raiffeisen noch jede Menge Beteiligungen. Zur Raiffeisen Holding NÖ-Wien etwa gehören unter anderem Nahrungsmittelerzeuger wie Agrana oder Südzucker, Medienbeteiligungen (Kurier,Profil, Krone, Agrar- oder Ärzteverlag) oder die Beteiligung am Baukonzern Strabag. Das Konzernergebnis erreichte 2023 fast eine Milliarde Euro. Allein die RLB OÖ hält mehr als 350 Beteiligungen, unter anderem an Voestalpine und Aluminiumproduzent Amag. Die Forscher von Fas Research, die sich mit Vernetzung von Wirtschaftskapitänen beschäftigen, erstellen regelmäßig eine Liste mit den einflussreichsten Managern des Landes. Unter den Top Ten waren zuletzt vier dem Raiffeisen-Sektor zugehörige Bosse.
Aber selbst diese geballte Wirtschaftsmacht konnte nicht verhindern, dass es in den vergangenen Jahren um Raiffeisen stiller wurde. Zum einen ging der heute 81-jährige Konrad 2012 in Pension, "Landesfürsten" wie der einstige RLB-OÖ-Chef, der inzwischen verstorbene Ludwig Scharinger, traten ab. Zum anderen war Raiffeisen lang mit sich selbst beschäftigt, jedenfalls der Geldsektor. Er war besonders in Osteuropa aggressiv ins hochriskante Geschäft mit Fremdwährungskrediten investiert, das nach Ausbruch der Finanzkrise implodierte. Und die vergangenen Jahre waren geprägt vom umstrittenen Russland-Engagement der RBI.
Dornröschen wacht auf
Nun wacht Prinzessin Raiffeisen aber aus ihrem "Dornröschenschlaf", wie es einer aus dem Sektor nennt, wieder auf. Die neue Raiffeisen-Generation will wieder mitmischen, in allen Bereichen. Raiffeisen, so sagen die Neuen, soll sich nicht nur als wirtschafts-, sondern auch wieder als gesellschaftspolitischer Faktor positionieren. Da passt es gut, dass RLB-NÖ-Banker Höllerer auch das Medienengagement weiterentwickeln will – "sinnvoll ergänzen", wie es heißt.
Dass es der Raiffeisen-Sektor nicht weit zur Macht hat, liegt auch daran, dass er seit jeher eng mit der ÖVP verwoben ist. Der Raiffeisenverband ist via Bauernbund ÖVP-Mitglied und zahlt einen jährlichen Beitrag von 100.000 Euro. Neben der engen personellen Vernetzung – auch der derzeitige Generalanwalt Erwin Hameseder unterhält beste Beziehungen zu den Schwarzen – gibt es auch eine institutionelle. Darauf weist Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik hin: In Niederösterreich ist per Gesetz festgelegt, dass die RLB NÖ-Wien Vertreter ins ansonsten frei gewählte Parlament der Landwirtschaftskammer entsenden darf.

Großes politisches Interesse
Dass gerade jetzt machtbewusste Leute wie RLB-NÖ-Generalsekretär Niedrist Konjunktur haben, sollte nicht verwundern. Die Personalreserven der erodierenden Volkspartei sind ausgedünnt, und gerade im Finanzministerium kennt sich Niedrist aufgrund seiner Karriere bestens aus. So schreibt Ex-Raiffeisenboss Konrad der neuen Generation des Sektors "gesellschaftliche Offenheit" zu und "hohes politisches Interesse, weil sie wieder mitgestalten will". Und der frühere Generalsekretär des Raiffeisenverbands, Ferdinand Maier, ortet "nach zehn Jahren Stillstand den Ansatz, dass sich Raiffeisen weiterentwickeln will".
Dass Raiffeisen seine Wünsche bei den Regierungsverhandlungen so gekonnt platzieren kann, liegt laut Netzwerkanalytiker Harald Katzmair von Fas Research im Übrigen auch daran, dass der Sektor "einer der letzten wirklich großen auf Österreich konzentrierten Player" sei, der daher umfassendes Interesse am Standort habe.
Auch eine solche Sonderstellung verleiht Macht. (Renate Graber, András Szigetvari, 1.2.2025)