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Liebe Leserinnen, liebe Leser!
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In zwei Wochen wählen die USA eine neue Präsidentin oder einen neuen, alten Präsidenten – mit seit Langem absehbaren, massiven Auswirkungen auf die Weltpolitik. In Georgien brodelt es nach einer Parlamentswahl mit russischer Einmischung genau wie nach der EU-Volksabstimmung in Moldau. Im Nahen Osten vergeht kaum ein Tag ohne neue Eskalation.
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Der Bürgerkrieg im Jemen gefährdet mit den Seehandelsrouten auch unseren Wohlstand, jener im Sudan führt zu beispiellosem Leid. Und in der Ukraine ist die Lage mit dem Einstieg Nordkoreas auf Seite der russischen Invasoren einmal mehr zum Verzweifeln.
Kriege und instabile Staaten mag es immer gegeben haben – aber das, was sich in den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten unter dem Titel einer „multipolaren Weltordnung“ entwickelt hat, stellt die regelbasierte Weltordnung auf eine harte Probe. Vor allem kleinere Staaten wie unsere Republik werden sich zunehmend überlegen müssen, wo sie in dieser neuen Welt stehen – und mit wem sie sich zusammentun.
Vom Passagier zum Kapitän
Über die – sagen wir: ein wenig spezielle – österreichische Sicherheitspolitik habe ich an dieser Stelle ja schon mehrmals geschrieben: Die Republik sollte sich im EU- oder, am besten, im Nato-Verband auf eigene Beine stellen, sodass eine Abwendung der USA von Europa nahtlos durch eine eigene Verteidigungsarchitektur ersetzt werden kann. Praktisch alle Sicherheitsexperten raten zu einem entsprechenden Weg, ob mit oder ohne heilige Neutralität – ich bin der Frage ausführlich in meinem Text „Zeitenwende in Zeitlupe“ im aktuellen DATUM nachgegangen, den Sie sich auch als Podcast anhören können.
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Was ich aus dem Text weggelassen habe, weil es den (sicherheitspolitischen) Rahmen jener Analyse gesprengt hätte: Es gibt da noch eine andere Baustelle, an der die nächste Regierung dringend arbeiten sollte. Die Rede ist von unserer klassischen Außenpolitik, also unserem diplomatischen Engagement.
Die Fundamente wären da
Ich will jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass da alles in Trümmern läge: Dort, wo entweder die österreichische Politik einen Schwerpunkt gesetzt hat – vor allem am Balkan, wo sich die Republik seit Jahren für eine EU-Erweiterung stark macht – oder wo heimische Diplomaten engagiert und kompetent sind – etwa in internationalen Verhandlungen zum Atomwaffenausstieg – habe Österreichs Stimme durchaus Gewicht, hat mir beispielsweise Stephanie Fenkart vom Internationalen Institut für Frieden bei meinen Recherchen erklärt, einem diplomatischen Thinktank in Wien.
Und auch die Schwerpunkte, die die Regierungen der vergangenen Jahre diplomatisch gesetzt haben, können sich durchaus sehen lassen: 2015 hat der letzte Außenminister einer rot-schwarzen Koalition, ein gewisser Sebastian Kurz, Botschaften in EU-Staaten schließen lassen und an ihrer Stelle neue eingerichtet – unter anderem in Weißrussland, Moldau und Georgien, mit explizitem Verweis auf die russische Bedrohung. (Dass Österreich gleichzeitig Russland schöne Augen gemacht hat, sei nicht unerwähnt.) Und erst vor einigen Wochen hat das Außenministerium eine Botschaft in Ghana eröffnet, um unsere Präsenz in der Subsahara-Region zu stärken.
Aber da ginge durchaus mehr. Wenn man schon „aktive Neutralitätspolitik“ beschwört und sich von Nato-Teufelszeug fernhalten möchte, dann sollte man zumindest weltweit im Gespräch bleiben, um eines Tages die Vermittlerrolle einnehmen zu können, von der Politiker aller Lager immer wieder öffentlich träumen.
Dazu reicht es nicht, hauruck einmal nach Moskau zu fliegen oder schnell einmal Viktor Orbán ins Parlament zu laden, weil der gerade da ist. Dazu braucht es Kontakte, Ressourcen und kompetente Diplomaten. Letztere hat Österreich zwar – aber die Mittel, die ihnen die Republik zur Verfügung stellt, sind ebenso wie das Interesse aus den Parteien ausbaufähig.
Visionen und Millionen dringend gesucht
Ich habe mir die Budgets der letzten 20 Jahre angeschaut: 2005 hat Österreich rund 380 Millionen Euro für Äußeres budgetiert, heuer sind 677 Millionen Euro vorgesehen. Das wirkt auf den ersten Blick wie eine ordentliche Steigerung, aber wenn man die unter Türkis-Blau und -Grün deutlich gestiegenen Beiträge für internationale Organisationen und die Aufstockung des Auslandskatastrophenfonds heraus- und die Inflation einrechnet (wir stehen bei einem Index von 160 Prozent gegenüber 2005), bleibt für die Kernaufgaben der heimischen Außenpolitik weit weniger als noch zu Beginn des Jahrtausends. Und im Budgetpfad für die kommenden Jahre ist vorgesehen, die Ausgaben für Äußeres als „Solidarbetrag“ für den staatlichen Schuldendienst wieder zurückzufahren, 2027 sollen es nur noch knapp über 600 Millionen Euro sein.
Ich habe Zweifel, ob das besonders schlau ist, angesichts der eingangs erwähnten Weltlage. Die in Verhandlung stehende Regierung sollte sich entscheiden: Entweder, wir sagen, Österreichs Außenpolitik soll ohnehin die EU miterledigen – kann man meinen, aber dann sollte man die Sonntagsreden von der „aktiven Neutralitätspolitik“ und „Österreich als Brückenbauer“ kübeln. Oder man will tatsächlich ein aktives Österreich mit Kontakten und Gewicht in vielen Weltregionen – dann wird man neben den entsprechenden Mitteln auch eine politische Vision dafür brauchen, wo und mit welchen Staaten man in Zukunft engere Beziehungen wünscht.
Die Weltlage spräche jedenfalls für Letzteres.
Herzlich,
Ihr Georg Renner
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